Ethikkommissionen

Ethikkommissionen sind aufgrund der Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki im Jahre 1975 entstanden und sollen der ethischen Beratung des ärztlich Handelnden in Therapie und Forschung dienen; vgl. Hans Schaefer (1983, S. 256). Die E. arbeiten entweder nach gesetzlichen Vorschriften oder wachen als Organe der Selbstkontrolle über der Einhaltung —> ethischer Kodizes. Nach dem Vorbild dieser E. gibt es in einigen Ländern auch zentrale oder regionale Kommissionen mit Beratungsfunktionen bei der Behandlung von Anträgen auf Genehmigung von —> Tierversuchen.

I. In der Bundesrepublik Deutschland ist das neue Tierschutzgesetz (—> Gesetzlicher Tierschutz) am 1. 1. 1987 in Kraft getreten, und die in §15 vorgeschriebenen „Kommissionen zur Unterstützung der zuständigen Behörden bei der Entscheidung über die Genehmigung von Tierversuchen” haben ihre Arbeit aufgenommen. Zwei Drittel der Mitglieder sind Naturwissenschaftler, ein Drittel wurde aus Vorschlagslisten der Tierschutzverbände ausgewählt. So sind —> Konflikte kaum zu vermeiden.

(1) Tierversuche sollen nicht nur unter wissenschaftlichem Aspekt auf das –> unerläßliche Maß beschränkt werden, sondern es soll zusätzlich in jedem Einzelfall geprüft werden, „ob die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind” (§ 7 Abs. 3).

(2) Um diese Frage zu klären, ist eine –> Güterabwägung zwischen dem angestrebten Vorteil des Menschen und der tatsächlichen Bela- stung der Versuchstiere nötig. Die Diskussion darüber gipfelt dann meist in der Frage nach dem „kleineren Übel”. Darum ist es wichtig, zu klären, nach welchen Maßstäben die Größe des Übels für Mensch und Tier zu beurteilen ist. Diese Frage so zu beantworten, daß Leben und Wohlbefinden des Menschen grundsätzlich Vorrang vor den gleichen Gütern der Tiere hätten, entspricht zwar der Mehrheitsmeinung, aber dies ist noch kein Argument für deren sachliche Richtigkeit. Vom „kleineren Übel” kann man beim Tierversuch doch nur sprechen, wenn für jedes Versuchsprojekt als wahrscheinlich anzunehmen ist, daß im Ergebnis die Summe aller Schmerzen und Leiden bei Mensch und Tier verringert würde. Wer einen Antrag auf Genehmigung eines Versuchsvorhabens stellt, muß also begründen, warum die Durchführung des Vorhabens gegenüber der Unterlassung das „kleinere Übel” ist. Aber auch dieses „kleinere Übel” ist ein Übel; und wer sich darauf beruft, muß wissen, daß moralisch bedenkliche Mittel als „kleineres Übel” nur hingenommen werden können, wenn sicher ist, daß die ethisch unbe- denklichen Mittel erschöpft sind oder gar nicht zur Verfügung stehen. Dies alles einleuchtend und wissenschaftlich zu begründen, ist schwierig, aber wie anders könnte die Abwägung — wenn sie ernsthaft sein soll — erfolgen? Das Abwägungsschema von Klaus Gärtner (1987) kann jedenfalls nur ein erster und recht kleiner Schritt sein.

(3) In den Kommissionen sind die Argumente der biomedizinischen Forschung und der dieser Forschung entgegenstehenden Ethik, aber auch die Interessen des Menschen und der Versuchstiere personell ungleichgewichtig vertreten. Dies erleichtert zwar das Abstimmungsverfahren, kann aber die Konflikte nicht lösen. Um mit diesen Konflikten leben zu können, muß von jeder Gruppe die Bereitschaft verlangt werden, sich der anderen verständlich zu machen, die jeweilige Gegenposition anzuhören und verstehen zu wollen, auch wenn dieses Verstehen oft keine Zustimmung zur Folge haben wird.

Die Hauptschwierigkeit besteht in einer meist sehr unterschiedlichen ethischen Ausgangsposition: Wer Tierversuche macht, hält sie im Dienste menschlicher Wohlfahrt und Wissenschaft für zulässig, wer sie ablehnt, hält sie als Mittel auch zu diesem Zweck für unerlaubt. Diese beiden Positionen gelten weithin als unvereinbar, und erst seit neuester Zeit bahnt sich eine für beide Teile akzeptable Ausgangsposition an: die Forderung nach –> Gerechtigkeit gegenüber Menschen und Tieren.

Gerechtigkeit ist ein Menschheitstraum seit dem Altertum, und wir wissen, daß wir ihn nie ganz, sondern immer nur annäherungsweise und in mühsamen Teilschritten verwirklichen können. Das gilt auch für die Gerechtigkeit gegenüber dem Tier. Aber es ist wichtig, daß wir uns an diesem Ziel orientieren und uns für jede nur mögliche Annäherung einsetzen.

In dieser Situation sind zusätzliche Orientierungshilfen wichtig, die das gesteckte Ziel im Auge behalten, aber auch an der Wirklichkeit nicht vorbeigehen; vgl. hierzu die allgemeine Abwägungsrichtlinie unter Stichwort -> Güterabwägung IV.

(4) Grundlage ethischer Diskussionen muß die —> Unteilbarkeit der Ethiksein, die zwar unterschiedliche Anwendungsgebiete hat, aber auf durchgängigen Prinzipien beruht, etwa der —› Humanität, die auch das Tier umfaßt, so wie die biblische —> Barmherzigkeit auch dem Tier gegen- über geboten war. Kein menschliches Handeln darf von der ethischen Bewertung ausgenommen werden, weder die wissenschaftliche Forschung noch die Art und Weise, wie man sich für Tierschutzziele einsetzt. Wer mit ethischen Argumenten überzeugen will, kann sich selbst keine Verstöße gegen ethische Normen erlauben; und ebendies gilt auch für das Verhalten gegenüber den Kommissionsmitgliedern, auch wenn sie eine andere Position vertreten. Niemand soll sich wegen seiner Überzeugung unter Druck gesetzt fühlen oder gegen sein Gewissen entscheiden. Die Mehrheit muß die Minderheit ertragen, und wer zur Minderheit gehört, muß sich überstimmen lassen, so schmerzlich und auf die Dauer entmutigend dies auch sein kann.

II. In der Schweiz gibt es gemäß Art. 19 des Tierschutzgesetzes und Art. 64 der Tierschutzverordnung eine „Eidgenössische Kommission für Tierversuche”. Die Kommission besteht aus höchstens neun Mitgliedern, die der Bundesrat wählt. Auch Kantone, die Tierversuchsbewilligungen erteilen, bilden Aufsichtskommissionen. Neben diesen staatlichen Kommissionen haben die „Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften” und die „Schweizerische Naturfor- schende Gesellschaft” eine „Ethikkommission für Tierversuche” gebildet.

III. E. auf gesetzlicher oder freiwilliger Basis gibt es schon länger auch in anderen Ländern, wie z. B. in Dänemark, England, Kanada, in den Niederlanden, in Schweden und in den Vereinigten Staaten. Die Zusammensetzung und Kompetenzen sind sehr unterschiedlich.

Weitere Literatur: M. Balls 1986, D. P. Britt 1983, R. Höhl 1986, M. Philip 1983, H. Piechowiak 1983, W. Scharmann1984.

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