Gesetzlicher Tierschutz

Gesetzlicher Tierschutz umfaßt alle legislativen Maßnahmen, wie Gesetze, Verordnungen oder andere staatliche Regelungen, aber auch internationale Vereinbarungen, die erlassen bzw. geschlossen werden (z. B. innerhalb der Europäischen Gemeinschaft), und entweder unmit- telbar dem —> Tierschutz dienen oder ihn in Teilbereichen berühren, wie etwa Jagd- und Fischereivorschriften oder Gesetze im Bereich des –> Naturschutzes und —> Artenschutzes. Zum Thema G. T. gibt es eine reiche Literatur, die, soweit heute noch wichtig, auch von den Kommentatoren der neueren Gesetze (Ennulat/Zoebe 1972, 1987 und A. Lorz 1979, 1987) verarbeitet wird. Die Entwicklung in der Schweiz ist von Antoine F. Goetschel (1986, 1987) und Ueli Vogel (1980) ausführlich behandelt worden.

In den Gesetzestexten wird oft ganz allgemein vom Tier gesprochen, gelegentlich auch nur von Wirbeltieren, höheren und niederen Wirbeltieren, Säugetieren, kaltblütigen, wechselwarmen und warmblütigen Tieren. Bei Unklarheiten empfiehlt es sich, jeweils die Sachregister der oben erwähnten Kommentare zu Rate zu ziehen.

I. G. T. hat eine eigene, weit zurückreichende Geschichte, auch wenn sie sich nicht immer auf geschriebenes Recht stützen kann; vgl. Mensch-Tier-Beziehung. Als frühestes schriftlich überliefertes Dokument wird meistens der Codex des babylonischen Königs Hammurabi (ca. 2000 v. Chr.) erwähnt, der auch Regelungen in bezug auf Nutztiere enthält, die jedoch mehr dem —> Interesse der Besitzer oder Käufer dienen als dem Wohlbefinden der Tiere. Das erste moderne Tierschutzgesetz wurde 1822 in England erlassen. Julie Schlosser berichtet (1954, S. 58f.) über die Entstehung und Vorgeschichte: „Der Schatzkanzler von England, Lord Erskine, brachte 1809 im Unterhaus einen Gesetzent- wurf zum Schutz der Arbeitstiere gegen Mißhandlung ein; er wurde abgelehnt. Dasselbe geschah bei einem zweiten Versuch. Als 1821 der Ire Richard Martinabermals einen solchen Entwurf vorlegte, betrachtete es das Haus wie einen ungeheuren Spaß, und als jemand den Schutz auf die vielen Lastesel ausdehnen wollte, brach ein solches Gelächter los, daß der Berichterstatter Martins Antwort nicht verstehen konnte . . . Aber 1822 hatten die Pioniere einer aussichtslosen Sache einen Erfolg: Martin und Lord Erskine zusammen setzten die Annahme des ersten Schutzgesetzes durch. Es galt nur für Pferde und Vieh. Hunde, Katzen und Esel einzubeziehen, gelang nicht.”

II. Schon bald folgten auch deutsche Staaten, und in § 360 Nr. 13 der alten Fassung des Reichsstrafgesetzbuches vom 15. 5. 1871 wurde derjenige mit einer Übertretungsstrafe bedroht, der „öffentlich oder in Ärgerniß erregender Weise Thiere boshaft quält oder roh mißhandelt”. Dem Gesetz folgte eine über Jahrzehnte andauernde Kontroverse über –> anthropozentrischen und —> ethischen Tierschutz, die erst mit dem Reichstierschutzgesetz vom 24.11.1933 ihren Abschluß fand. Die weit zurückreichende Vorgeschichte des neuen Gesetzes verbietet es eigent- lich, das neue Gesetz wegen seines politisch belasteten Datums zu verdächtigen. Ute Hahn stellte (1980, S.132) fest, „daß die Zeit für die Schaffung eines neuen Tierschutzgesetzes überreif war, zumal es 6 Jahrzehnte hindurch trotz wiederholter Eingaben und Anträge nicht zu einer Änderung des § 360 des Reichsstrafgesetzbuches gekommen war. Das neue Gesetz galt lange als fortschrittlich und wurde auch nach 1945 nicht beanstandet. Erst Ende der fünfziger Jahre begann die Diskussion über eine Novellierung, die dann zum Gesetz vom 24.7.1972 führte.

Auch dieses Gesetz wurde zunächst als großer Fortschritt begrüßt. Es beruht auf der ethischen Tradition der Humanität, zu der sich bei den Beratungen im Bundestag die Sprecher aller Parteien bekannten (vgl. —> Humanität III). Was hier gefordert wurde, ist —> ethischer Tierschutz. Entsprechend erhebt das Gesetz einen hohen moralischen Anspruch: Dem Tier wird ein eigenes Lebensrecht eingeräumt, sein Leben und Wohlbefinden unter Schutz gestellt. Aber was die Grundsatzparagraphen am Anfang versprechen, wird dann in den vielen Einzelvorschriften und Ausnahmen bis zur Wirkungslosigkeit verwässert. Was als Ausdruck artübergreifender Humanität gedacht war, hat sich als nur oberflächlich verbrämter –> anthropozentrischer Humanismus erwiesen. In keinem der vielen Interessenkonflikte wurde dem Menschen ein ernsthaftes Opfer zugemutet. Vor allem ist die im Gesetz selbst vorgesehene Rechtsverordnung zur —> Nutztierhaltung nie erlassen worden, so daß sich im Schatten eines nicht reglementierten Bereiches die Intensivhaltung fest etablieren konnte. Das Gesetz ist auch keineswegs praktikabler geworden. Jedenfalls wurden vergleichsweise viele Strafverfahren – soweit sie überhaupt in Gang kamen – eingestellt oder mit Freisprüchen abgeschlossen, wie K. D. Wiegand (1979, S. 57-61) feststellte.

Schon bald wurde die Kritik am neuen Gesetz laut. Die ->öffentliche Meinung erregte sich zuerst über die Zustände in der Massentierhaltung, über die „Jagd” auf Jungrobben und schließlich die Praxis der -> Tierversuche. Die Diskussion geriet in die Medien, der Streit wurde zum gesellschaftlichen Konflikt. Anfang 1981 kam mit dem von Bayern eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes” vom 19.3. 1981 (Bundestagsdrucksache 9/246) Bewegung in die Legislative. Es folgten weitere Entwürfe, die aber in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr zur Beratung kamen. In der 10. Periode wurde dann neben den Parteien und Verbänden auch die Bundesregierung aktiv und legte am 8. 11. 1984 den „Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes” vor (Bundesratsdrucksache 524/ 84). Am 10.4. 1985 wurde der nach den Vorschlägen des Bundesrates vom 20.12.1984 überarbeitete Entwurf (Bundestagsdrucksache 10/3158) dem Bundestag zugleitet. Am 14.5. 1985 fand die erste Lesung statt, und am 17.4.1986 wurde der Entwurf in zweiter und dritter Lesung mit Mehrheit angenommen. In der vorausgegangenen Debatte wurde im- mer wieder die ethische Begründung des Gesetzes hervorgehoben und in der Sache mit mehr Kenntnis und Engagement diskutiert als 1972. Einige Stellungnahmen sind besonders zu erwähnen: (1) Der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch (FDP) tritt zugunsten einer verbesserten Nutztierhaltung dafür ein, in der EG notfalls einen Alleingang zu wagen (S. 16 110). (2) Die Abgeordnete Renate Schmidt (SPD) verspricht, das Gesetz im Falle einer SPD-Regierung im Sinne des weitergehenden SPD-Entwurfes zu ändern (S. 16 128). (3) Die Abgeordneten Claus Jäger und Hans-Jürgen Stutzer (beide CDU/CSU) stimmen dem Gesetz zwar zu, sagen aber (S. 16 123 und 16 179) deutlich, daß es hinter ihren Erwartun- gen in bezug auf mehr Tierschutz zurückgeblieben sei. (4) Bei den Abge- ordneten Dr. Günter Müller (CDU/CSU) und Hans H. Gattermann (FDP) sind die Bedenken noch größer, so daß sie das Gesetz ablehnen und dies auch ausdrücklich begründen (S. 16 137f. und 16 179 des Protokolls der 210. Sitzung). Auch die Abgeordneten Dr. Abelein (CDU/CSU) und Neuhausen (FDP) haben das Gesetz abgelehnt, allerdings ohne Begründung. Der vom Bundesrat angerufene Vermittlungsausschuß hat noch drei Änderungen vorgeschlagen. Hier war besonders umstritten, ob die Er- füllung der Genehmigungsvoraussetzungen bei Tierversuchen „glaubhaft gemacht” oder „wissenschaftlich begründet dargelegt” werden soll. Der Bundesrat hat sich für die Darlegung entschieden, weil er sie gegenüber bloßem „Glaubhaftmachen” für eine Verschärfung hielt (Bundesrat: 566. Sitzung, Protokoll S. 380). Das Gesetz wurde am 22.8.1986 verkündet und trat am 1.1.1987 in Kraft.

Es besteht kein Zweifel, das neue Gesetz enthält einige wichtige Verbesserungen, wie etwa das Mitspracherecht der Tierschützer in den Ethikkommissionen (§ 15) und die Auflage an die Regierung, alle zwei Jahre einen „Bericht über den Stand der Entwicklung des Tierschutzes” zu erstatten (§ 16c). Insgesamt bleiben diese Verbesserungen aber doch hinter dem zurück, was man nach dem in der öffentlichen Meinung erreichten Stand erwarten konnte. Selbst die bescheidenen Forderun- gen der Kirchen (—> Kirche und Tierschutz)blieben im wesentlichen unbeachtet. So bleibt auch der Eindruck, daß die über die Wirkungslosigkeit des früheren Gesetzes erregte und erbitterte Öffentlichkeit durch das Änderungsgesetz beruhigt werden sollte, ohne die traditionelle und meist rücksichtslose Ausbeutung der Tiere in nennenswerter Weise einzuschränken. Die Neufassung des § 2 (Tierhaltung) wird sogar als Verschlechterung angesehen. Es ist daher verständlich, wenn die —> Tierschützer das Gesetz als bloße „Kosmetik” bezeichnen. Die Ursache hier- für ist allerdings nicht nur in der Schwäche des Gesetzgebers zu suchen, sondern auch in ganz allgemeinen reformfeindlichen —> Widerständen und Hemmnissen, insbesondere der anthropozentrischen Tendenz des überlieferten Rechtsdenkens, in der weder das Tier noch die natürliche Umwelt eine Rolle spielt. Das Grundgesetz wurde so abgefaßt, als ob es für den Menschen keine Verantwortung gegenüber der Natur oder den Mitgeschöpfen geben könne. Darum ist es auch möglich, weitere Tierschutzanforderungen unter Berufung auf die Forschungsfreiheit (Art. 5, 3 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) in Frage zu stellen. Dem Bundesbürger in bezug auf die Ausbeutung der Tiere Grenzen zu setzen, ist daher verfassungsrechtlich wohl nur möglich, wenn die –> Menschenwürde (Art. 1 GG) nicht nur als Anspruch, sondern auch als Grund von Verpflichtungen akzeptiert wird.

III. Bei dem in den sechziger Jahren beginnenden Gesetzgebungs- verfahren in der Schweiz wurden die Mängel des deutschen Gesetzes von 1972 möglichst vermieden. Vor allem konnte das Gesetz nur zusammen mit der die Einzelheiten regelnden Tierschutzverordnung in Kraft treten. In der Bundesrepublik hatte man das Gesetz allein verabschiedet und den Erlaß der nötigen Rechtsverordnungen dem zuständigen Ministerium überlassen. Die Folge davon war, daß außer der Hundehaltungsverordnung von 1974 keine der vorgesehenen Rechtsverordnungen zustande kam. In der Schweiz erfolgte das Verfahren in zwei zusammenhängenden Etappen: am 9.3. 1978 die Verabschiedung des Tierschutzgesetzes und am 27.5. 1981 die Verabschiedung der Tierschutzverordnung.

Die schweizerische Regelung nimmt durch das Verbot bestimmter Formen der Käfighaltung (Art. 4 des Gesetzes und Art. 25 der Verordnung) in diesem Bereich eine Spitzenstellung ein; vgl. hierzu A. F. Goetschel (1986, S. 54 ff.). Ein Schwachpunkt dieses Gesetzes betrifft weniger den praktischen Tierschutz als vielmehr das theoretische Konzept, viel- leicht auch nur die —> Kohärenz des ersten Artikels: „(1) Dieses Gesetz ordnet das Verhalten gegenüber dem Tier; es dient dessen Schutz und Wohlbefinden. (2) Es ist nur auf die Wirbeltiere anwendbar. Der Bundesrat kann in seinen Vorschriften über Transporte und internationalen Handel die wirbellosen Tiere einschließen.” Jeder dieser Sätze (mit Ausnahme des ersten natürlich) befindet sich zum jeweils vorausgehenden im Widerspruch. Offenbar beruht der Tierschutz in der Schweiz einseitig auf dem —> Wohlbefindensprinzip, aber gibt es für die Annahme, daß wirbellose Tiere kein Schmerzempfinden haben, wirklich eine ausreichend begründete Wahrscheinlichkeit?

Trotz einiger Verbesserungen kam die öffentliche Diskussion insbesondere hinsichtlich der Tierversuche nicht zur Ruhe. So wurde schon bald eine Volksinitiative „Für die Abschaffung der Vivisektion” der Stiftung Helvetia Nostra gestartet und nach deren Scheitern eine neue Initiative des Schweizer Tierschutzes (STS) „Zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche (Weg vom Tierversuch)”, in die Wege geleitet. Im Sinne dieser Initiative wären dann schmerzhafte Versuche nur noch als Ausnahmen von einem generellen Verbot (vgl. A. F. Goetschel 1986, S. 291 ff.) möglich.

IV. In Österreich ist der Tierschutz Ländersache. Nur die Strafbestimmungen sind im Strafgesetzbuch bundeseinheitlich geregelt und seit dem 1.1. 1975 in Kraft; sie sehen Höchststrafen bis zu einem Jahr Freiheitsentzug oder 360 Tagessätzen Geldstrafe vor für denjenigen, der ein Tier roh mißhandelt oder ihm unnötige Qualen zufügt. Unter die Strafandrohung fällt auch das Unterlassen von Füttern und Tränken bei Transporten, und dies auch bei bloßer Fahrlässigkeit. Unbeschadet der Länderhoheit hat Österreich seit dem 1. 7. 1974 ein besonderes Tierversuchsgesetz, das im wesentlichen die Vorschriften der §§ 7-10 des deut- schen Tierschutzgesetzes von 1972 übernommen hat. Für die Regelung in den einzelnen Bundesländern s. K. Drawer und K. J. Ennulat (1977, S. 283). Tierschützer versuchen, eine Novellierung des Tierversuchsgesetzes zu erreichen, und im Oktober 1984 hat das Ministerium für Gesundheit und Umweltschutz eine erste Anhörung durchgeführt; vgl. hierzu Peter Schmidsberger (1985).

V. Zur Situation in der DDR schreiben Drawer und Ennulat (1977, S. 282): „In der Deutschen Demokratischen Republik ist der Tierschutz gesellschaftsbezogen und beruht auf der marxistischen Ethik. Diese verlangt, daß der Mensch mit Sachkunde und Sorgfalt der belebten Umwelt entgegentreten muß. Tiere haben nicht nur einen erheblichen ökonomischen Wert, sie dienen auch der Erholung und Freude des Menschen und bereichern die Natur.” Zur marxistischen Ethik in bezug auf die Natur s. G. M. Teutsch (1985c, S. 67f.).

VI. Für die unter dem Aspekt der —> Tierschutzethikbesonders wichtigen Fragen, wie und inwieweit der G. T. die Enge des älteren —> anthropozentrischen Tierschutzes überwunden hat, siehe den Artikel —> ethischer Tierschutz. G. T. ist in bezug auf die Intentionen der Tierschutzethik im- mer noch erheblich im Rückstand (vgl. —> Moral und Recht), das hängt (1) mit dem noch unterentwickelten –> Wertbewußtsein und dem erreichten Stand der —> öffentlichen Meinung ebenso zusammen wie (2) mit —Widerständen und Hemmnissen und schließlich (3) mit einer erst in Ansätzen erkennbaren —> Tierschutzerziehung und —> Tierschutzpolitik der einschlägigen Institutionen und Verbände.

Die gesetzliche Regelung steht immer am Ende einer meist langen Entwicklung, die entweder durch schockartige Veränderungen oder durch geistige Bewegungen, manchmal auch durch beides zusammen, ausgelöst wird. Bei Peter Singer (1986, S. 256) findet sich folgendes Zitat des amerikanischen Parlamentsanwaltes Godfrey Carter: „In einer Gesellschaft, die im Besitz freier Institutionen und der Erhaltung von Freiheit und Ordnung verpflichtet ist, entsteht ein Gesetz aus der rationalen Bestimmung der Art und Weise, in der Menschen denken und sich verhalten, und in ihrer —> Einstellung zueinander . . . Wenn die öffentliche Einstellung sich ändert, ändert sich auch das Gesetz.”

Weitere Literatur: J. Adolph 1936, K. J. Ennulat und G. Zoebe 1972, H. Gerold 1972, 1986, P. Giberne 1931, A. F. Goetschel 1986, 1987, H. Hölscher 1950, A. Jenny 1940, Th. H. Juchem 1940, M. Lehner 1929, A. Lorz 1979, 1984 und 1987, P . Micaux 1980, W. von und zur Mühlen 1938, G. Müller 1975, A. Nabholz und A. Steiger 1983, Chr. Scheffler 1986, U. Vogel 1980, G. Zoebe 1962.

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