Kirche und Tierschutz

Kirche und Tierschutz war für lange Zeiträume kein Thema. Positive Feststellungen sind nur als Nachwirkungen der —> biblischen Tierschutz- ethikzu verstehen, wie sie insbesondere im —> Pietismus ihren Ausdruck fand, der seinerseits auf die Entwicklung einer artübergreifenden —> Humanität hinwirkte. 1837 gründete Pfarrer Albert Knapp den ersten deutschen Tierschutzverein, und im Beichtspiegel deutschsprachiger Diözesen taucht etwa zu dieser Zeit auch die Gewissensfrage nach der —> Tierquälerei auf. Außerdem setzten sich offenbar auf Anregung Ludwigs I. die bayerischen Diözesen für tierschutzfreundliche Belehrung und Unterweisung ein. Und als gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Streit um die —> Tierversuche seinen ersten Höhepunkt erreichte, gehörte der englische Kardinal Manning zu den entschiedenen Gegnern. 1881 erklärte er: „Ich benutze diese Gelegenheit, um meinen Entschluß zu erneuern, solange ich lebe an der Beendigung dieses abscheulichen Tuns mitzuhelfen, das ich . . . für unmoralisch an sich halte .. . Ich glaube, daß die Zeit gekommen ist und ich wünschte nur, wir hätten auch die Macht dazu, die Vivisektion insgesamt gesetzlich zu verbieten.” Erstveröffentlichung in „The Zoophilist” vom 1. 7. 1881; zitiert nach Rambures (1899, S. 88). Mannings Position war aber nicht etwa Regel, sondern Ausnahme, die Kirche als Institution hielt sich heraus.

I. Auf diesem Standard des —> Tierschutzes ist die Kirche aber nicht geblieben, sondern in der Auseinandersetzung mit dem Darwinismus wurde die Distanz zwischen Mensch und Tier wieder vergrößert.

In und zwischen den Weltkriegen und auch noch lange danach waren die Menschen so sehr mit sich selbst und die Kirche mit den Menschen beschäftigt, daß die Tiere trotz vereinzelter Gegenstimmen, wie von Jakob H. Schütz (1928) und Aloysius Roche (1939), vollends aus dem Blickfeld gerieten. Der in den dreißiger Jahren verbreitete Begriff und Gedanke der Mitmenschlichkeit hatte zwar dazu beigetragen, den Rassismus besser zu durchschauen und leichter zu überwinden, aber er hatte zugleich auch die alte und grundsätzlich über die eigene Spezies hinaus offene Menschlichkeit auf die inneraftfiche Mitmenschlichkeit reduziert. Bezeichnenderweise wurde nur der Humanitätsgewinn im zwischenmenschlichen Bereich, nicht aber der Humanitätsverlust gegenüber den ausgeschlossenen Mitgeschöpfen wahrgenommen.

II. Erst in den fünfziger Jahren und später meldete sich die über lan- ge Zeit nur latent vorhandene Gegenposition zu Wort: Joseph Bernhart (1961), Fritz Blanke (1959), Jean Gautier (1965), C. W. Hume (1957), Walter Pangritz (1963), Michael Pfliegler (1961), Georg Siegmund (1958), Carl A. Skriver (1967) und Werner Tanner (1950). Merkwürdigerweise hat man in dieser Zeit kaum auf Albert Schweitzers —> Ehrfurcht vor dem Leben oder Karl Barths „Lehre von der Schöpfung” (Dogmatik III) zurückgegriffen. Trotz dieser verschiedenen Stimmen war die Kirche als solche kaum davon berührt. C. W. Hume hat zwar (1957, S. 57 f.) kirchliche Stellungnahmen zugunsten des Tierschutzes zusammengetragen, aber im deutschsprachigen Raum wurde das Schweigen erst im Jahre 1955 durch eine Stellungnahme der Württembergischen Landeskirche (Für Arbeit und Besinnung der Ev. Landeskirche in Württemberg Jg. 9, 1955, Nr. 15/16) gebrochen. Die Stellungnahme lautet: „Angesichts der um sich greifenden Fälle von Tierquälerei, die auf eine zunehmende Gefühlsroheit mit Entartung der Sitten schließen lassen, bedarf die Sache des Tierschutzes der ständigen Förderung durch die christliche Gemeinde, im besonderen auch durch die Pfarrämter. Die Tierschutzvereine vermögen vielfach nicht durchzudringen und sollten bei ihren Verhandlungen mit den zuständigen Stellen nach Möglichkeit durch die Pfarrämter unterstützt werden. Der Oberkirchenrat bittet daher die Pfarrämter, im Unterricht und bei passender Gelegenheit, auch in der Predigt, das Thema des Tierschutzes je und dann in den Kreis der Gedanken hereinzuziehen. Vor allem sollten auch konkrete Vorkommnisse, in denen die Ehrfurcht vor der Schöpfung Gottes durch Mißhandlung von Tieren verletzt wird, zum Anlaß nicht nur der Aufklärung der Jugend und der Unterrichtung der Gemeinde, sondern auch der Fürsprache bei den verantwortlichen Stellen gemacht werden.”

Auch Papst Paul VI. nahm am 11.3.1966 zum Tierschutz Stellung (Zitat nach Girard Siegwalt 1979, S. 64): „Die Gesetze, die die bestrafen, die Tiere mißhandeln oder nach brutalen Methoden schlachten, stehen in vollkommenem Einklang mit der katholischen Moral und haben die Unterstützung der Kirche. Die Mißhandlkung von Tieren ist nach christlichem Standpunkt ein verwerflicher Akt der Grausamkeit. Sowohl das Schießen auf lebende Tauben wie jede Sportart, die auf unnötiger Grausamkeit gegen Tiere beruht, müßte verboten werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Stierkampf.”

III. Das zukunftweisende Element der Neubesinnung war die Verbindung von Tier-, Natur- und Umweltschutz bei Fritz Blanke schon im Jahre 1959, der sein schöpfungsethisches Anliegen auf die inzwischen im deutschen Sprachraum weitgehend angenommene Formel der –> Mitgeschöpflichlceit brachte. Die Kirche wurde aber nicht durch eigene Stimmen, sondern wie so oft erst durch Angriffe von außen aktiviert; vgl. z. B. Lynn White jr. (1973).

Die ganzen siebziger Jahre hindurch blieb der Tierschutz jedoch nur ein unwesentliches Anhängsel der in Gang kommenden Umweltaktivität der Kirchen. 1973 wurde der erste Umweltbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) berufen und 1976 dann der Arbeitskreis Umweltschutz beim Kommissariat der deutschen Bischöfe gebildet. In der Zeit von 1977 bis 1979 wandten sich im Rahmen der „Ökumenischen Initative Ethik der Schöpfung” 400 Theologen des deutschsprachigen Raumes (darunter auch Helmut Thielicke und Karl Rahner) an die kirchlichen Umweltgremien, um dafür einzutreten, daß der kirchliche Umweltschutz sich nicht nur am überleben der Menschheit orientiert, sondern auch als Verantwortung für die Mitgeschöpfe deutlich wird; vgl. G. M. Teutsch 1983 b, S. 125 f.

Die erste nach außen gerichtete Reaktion war ein Schreiben des badischen Landesbischofs Prof. Dr. Hans-Wolfgang Heidland vom 6. 12. 1978 an Bundesminister Ertl zugunsten einer tierschutzgemäßen Nutztierhaltung. In dem Brief heißt es: „Auch das wirtschaftliche Denken ist an ethische Normen gebunden und muß die Verantwortung des Menschen für seine Mitgeschöpfe berücksichtigen. Wenn, wie ich höre, demnächst eine Rechtsverordnung für einzelne Bereiche der Intensivhaltung erlassen werden soll, so möchte ich Sie, sehr geehrter Herr Minister, aus christlicher Verantwortung bitten, bei der unvermeidbaren Güterabwägung dem ethischen Argument doch das ihm gebührende Gewicht beizumessen, zumal auch die öffentliche Meinung zunehmend schonendere Haltungsbedingungen fordert.”

IV. In dieser Zeit waren bereits die Vorarbeiten an einer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Umweltfragen im Gange, die dann im September 1980 unter dem Titel „Zukunft der Schöpfung — Zukunft der Menschheit” veröffentlicht wurde. Die Erklärung der Bischöfe wird durch den Hinweis auf die Grenzsituation der heutigen Menschheit eingeleitet und macht endlich Schluß mit dem seit Descartes vorherrschenden Dualismus: hier der denkende Mensch, dort die Welt der belanglosen Dinge, so als ob es dazwischen kein anderes Leben, keine fühlenden Mitgeschöpfe gäbe. Die Schöpfung hat einen eigenen Wert, und der Mensch hat in ihr eine besondere Stellung: „als Gottes Ebenbild hat er Maß zu nehmen am Urbild; dann aber heißt Beherrschen liebende Sorge, hegendes Wahren. Im biblischen Verständnis schließt das Beherrschen die Verantwortung für die Beherrschten mit ein. Dies gilt auch und gerade für das Verhältnis des Menschen zu sei- nen Mitgeschöpfen” (S. 10). Entsprechend bleibt auch die Heilszusage Gottes nicht auf den Menschen beschränkt (S. 11).

Im letzten Teil werden Wege und Aufgaben im Sinne der Verantwortung für die Schöpfung gezeigt. Am Anfang steht die Einsicht: „Selbstherrliches Seinwollen wie Gott ist die Urgestalt der Sünde” (S. 13). Darum müssen wir die Schöpfung und unsere Aufgabe in ihr unter den Bedingungen Gottes annehmen. Es ist ganz erstaunlich, was sich daraus an ordnenden Richtlinien für christliches Weltverhalten ergibt. So die Feststellung, daß zum christlichen Weltverhalten u. a. auch „die Übernahme der liebenden Verantwortung für Pflanzen- und Tierwelt” gehört und daß Tiere eben „Tiere und nicht bloß Nahrungsmittel, Ausbeutungsobjekt oder Ware” (S. 13) sind.

Die aus dieser Sicht der Schöpfung abzuleitenden Folgerungen für unser Handeln werden unter der Leitlinie „Wegweisung für drängende Einzelfragen” (S. 17) behandelt. Der Katalog wird durch zwei unser Verhältnis zur Tierwelt betreffende Abschnitte „Schutz der Arten” und „Schonung der Tiere” eingeleitet. Dabei wird Artenschutz nicht als Erhaltung einiger lebender Museumsstücke, sondern als Respektierung der nötigen Lebensräume verstanden, und die Forderung nach Schonung geht davon aus (und verlangt nicht erst den Nachweis), daß Tiere „fühlende Wesen sind, die nicht ohne ernste Gründe, „etwa bloß zum Vergnügen oder zur Herstellung von Luxusprodukten” gequält oder getötet werden dürfen (S. 17). Damit ist zum ersten Mal eine deutlich erkennbare Grenze zwischen dem noch vertretbaren und dem sittlich unerlaubten Umgang mit Tieren gezogen worden, die unser bisher weitgehend beliebiges Handeln begrenzt. Dieses Wort der katholischen Bischöfe anläßlich ihrer Herbstvollversammlung 1980 in Fulda, verstärkt durch Kardinal Höffners Eröffnungsvortrag mit Hinweisen auf –> Nutztierhaltung und —› Tierversuche, hat auch in der außerkirchlichen Öffentlichkeit große Zustimmung gefunden.

V. Ein vergleichbares Gegenstück der Evangelischen Kirche wurde erst 1984 mit der Denkschrift „Landwirtschaft im Spannungsfeld” verfügbar. Sie enthält in den Abschnitten 76-79 wesentliche Elemente ei- ner mitgeschöpflichen Ethik. Der im Auftrag Gottes handelnde Mensch ist zugleich Mitgeschöpf (Ziffer 76) und eng mit der Schöpfung verbunden. In Ziffer 77 heißt es: „Nach biblischem Verständnis sind die Men- schen mit allen Kreaturen auf das tiefste verbunden. Die Menschen und die Schöpfung sind keine isolierte, für sich bestehende Größen. Beide seufzen unter der Bedrängnis der Gegenwart. Beide sehnen sich nach Befreiung und Erlösung. Das Ziel der Wege Gottes ist nicht nur die Erneuerung der Menschheit, sondern der ganzen Schöpfung. Auch die Kreatur wird frei werden von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm. 8, 21) . . . Gottes Heilswille umfaßt den Menschen und alle Kreatur, Natur und Geschichte. Der Mensch sollte daher in aller Gebrochenheit irdischer Exi- stenz Hoffnungszeichen für die ihn umgebende Kreatur sein und nicht ihr großer Zerstörer.”

Der nachfolgende Abschnitt 78 ist dann ganz den Tieren gewidmet, denen wir zur Barmherzigkeit verpflichtet sind: „Wenn die Kirche die Barmherzigkeit Gottes verkündet, gilt diese dann nicht auch den uns anvertrauten Tieren? Müßte ein solches christliches Verständnis nicht auch die Konsequenz haben, daß das Tier nicht nur in seiner bloßen Verwertbarkeit und Nützlichkeit gesehen wird? Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs (Sprüche 12, 10). Sensibilität für tierisches Leid ist in der Kirche, von wenigen abgesehen, nicht aufgebracht worden. Es ist kein Zufall, das wir heute auf Stimmen wie Franz von Assisi hören. Ebenso schenken wir dem ethischen Grundsatz Albert Schweitzers neue Beachtung: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.”

Dementsprechend wird im anschließenden Abschnitt 79 ausdrücklich gefordert, das Leiden der Kreatur zu verringern. Das soll auch für den ganz anderen Bereich der Tierversuche gelten.

Die Denkschrift weicht aber auch den konkreten Fragen der Nutztierhaltung nicht aus, sondern stellt deutliche Forderungen; vgl. —> Nutztierhaltung II/3.

VI. Auf diesem Hintergrund öffentlicher Erklärungen haben sich die Kirchen dann auch an der Diskussion über den Regierungsentwurf zum 1986 verabschiedeten Ersten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes beteiligt. Die kirchlichen Empfehlungen sind inzwischen veröffent- licht und betreffen insbesondere (1) Maßnahmen gegen das Töten und Mißhandeln von Tieren als Freizeitbeschäftigung, (2) das generelle Verbot schmerzhafter wissenschaftlicher Versuche am unbetäubten Tier und (3) die Verbesserung der Nutztierhaltung.

Das kirchliche Eintreten für die Mitgeschöpfe hat mit Beginn der achtziger Jahre erheblich zugenommen. Es ist ein großer Fortschritt, wenn man die frühere Gleichgültigkeit bedenkt, aber er bleibt noch immer weit hinter dem zurück, was im Einklang mit den Forderungen der -> biblischen Tierschutzethik erreicht werden könnte. Bernhard Stoeckle macht dafür (1974, S. 834) den Einfluß des -> anthropozentrischen Humanismus verantwortlich, indem er schreibt: „Das geht vor allem auf das Konto jener Theologie der Mitmenschlichkeit, welche die christliche Verantwortung einseitig auf die Verbindlichkeiten konzentrierte, die gegenüber anderen Menschen wahrzunehmen sind” (-> Mitgeschöpflichlceit). In ähnlicher Weise hat auch Franz Böckle (1984, S. 50) die christliche Ethik kritisiert, „weil sie nach jahrhundertelang eindimensional anthropologisch betriebener Schöpfungslehre ein schwerwiegendes Versäumnis aufzuarbeiten hat”. Seitens der evangelischen Theologie war es insbesondere Erich Größer, der seine Kirche immer wieder an ihre Versäumnisse und ihre Pflicht zur Predigt der -> Barmherzigkeit auch gegenüber den Tieren erinnert hat; vgl. vor allem seine Beiträge „Die falsche Anthropozentrik” (1978) und „Kirche und Tierschutz – eine Anklage” (1984).

Weitere Literatur: G. M. Teutsch 1975, S. 152-179.

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