Plädoyer im Prozess um Fütterung von Tauben

1. Februar 2018

Nachfolgend veröffentlichen wir das Plädoyer, welches im Taubenprozess am 30. Januar 2018  gehalten wurde. Für die Veröffentlichung haben wir von Frau Rothe und dem Rechtsanwalt Kluge die Erlaubnis erhalten.

 

I. Vorbemerkung

Wir haben es hier heute mit einem in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlichen Fall zu tun, nämlich mit einem Fall einer Tierschützerin, die sich keiner Schuld bewusst ist, worin ich ihr nur beipflichten kann. Taubenfüttern ist in Berlin nicht verboten, weil es dafür anders als in anderen Städten keine Rechtsgrundlage gibt und zwar unabhängig von der Frage, ob die von Frau Rothe gefütterten Tauben das Futter sofort aufgenommen haben, wie es im vorliegenden Fall nun einmal war und wie die Ordnungsamtsangestellte Weise, die heute bedauerlicherweise im Skiurlaub ist, in einem Aktenvermerk auch nicht etwa in Abrede gestellt hat.

Denn unabhängig davon ist das Straßenreinigungsgesetz ungeeignet, das Füttern von Vögeln zu sanktionieren, so wie es mehrfach offensichtlich vor diesem Gericht schon gesehen worden ist. Ich sage bewusst: das Füttern von Vögeln. Denn wenn man das Taubenfüttern jetzt über das Straßenreinigungsgesetz sanktionieren will, muss man das bei Singvögeln auch tun. Verunreinigung ist nun mal Verunreinigung. Und wenn das Füttern von Tieren auf öffentlichem Straßenland verboten ist, dann kann das nicht von der gefütterten Tierart abhängig sein. Nein, dann dürfen auf öffentlichem Straßenland auch keine Singvögel mehr gefüttert werden. Die Rentnerin, die auf den öffentlichen Weg vor ihrem Balkon die von ihr geliebten Singvögel füttert, weil sie keinen eigenen Garten hat, handelt ordnungswidrig. Wer die Tausenden von herrenlosen Katzen in Berlin, die oft in den Innenstadtbezirken leben, wie ich selbst weiß, handelt künftig ordnungswidrig. Dass das etwa naturschutzrechtlich falsch ist, hat mehrfach der bekannteste deutsche Ornithologe Prof. Berthold, der langjährige Chef des Max-Planck-Instituts für Ornithologie festgestellt. Er sagt sogar, dass es die moralische Pflicht des Menschen sei, die Vögel ganzjährig zu füttern, weil etwa das Überleben seltener Arten davon abhinge.

Warum soll es aber nur gegen die Tauben gehen, die angeblichen „Ratten der Lüfte“? Auch das ist schwer verständlich. Die Tauben, aus guten Gründen ein Symbol der Friedfertigkeit, tragen jedenfalls keine Schuld, wenn man bei Tieren überhaupt von so etwas wie Schuld sprechen kann. Denn der Mensch ist verantwortlich für das Schicksal dieser Tiere. Es handelt sich nicht um Wildtiere, sondern um die Nachkommen von Brieftauben und Hochzeitstauben, die etwa verantwortungslose Brieftaubenfreunde herangezüchtet haben, weil sie glauben, dass es ein Sport sei, wenn man andere für sich fliegen lasse. Es ist also das Fehlverhalten von Menschen, das Stadttauben in ihre aussichtslose Lage gebracht hat. Sie haben die Ursache für das Taubenelend gesetzt, weil ihre Tiere nicht in den Schlag zurückgefunden haben. Gleiches gilt für das verantwortungslose Fliegenlassen von sog. Hochzeitstauben.

Worüber sich Behörden, die das Taubenfüttern verbieten, bis heute überhaupt keine Gedanken gemacht haben ist folgendes:

Ein konsequent durchgeführtes Fütterungsverbot ist aus der Sicht des Tierschutzes ebenso eindeutig tierschutzwidrig wie bestimmte Reduzierungsmethoden. Wenn ein Fütterungsverbot in allen Stadtteilen einheitlich durchgeführt wird, können die Tauben nicht auf andere Nahrungsquellen ausweichen bzw. sie müssen sich mit nicht artgerechter Nahrung am Leben halten. Aufgrund der ihnen angezüchteten Bindung an den Menschen und seine Städte sind die Vögel in ihrem Nahrungserwerb völlig auf ihn angewiesen.

Ein absolutes Fütterungsverbot führt zunächst dazu, dass die Nestlinge verhungern, was als beabsichtigte tierquälerische Tötung gewertet werden muss. Verhungern ist ein qualvoller Prozess, der zu erheblichen und lang anhaltenden Leiden der Tiere führt. Tauben durch Aushungern zu töten, ist ein Verstoß gegen § 4 Absatz 1 TierSchG. Nach § 4 TierSchG darf ein Tier nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden. Selbst im Rahmen der Schädlingsbekämpfung dürfen Wirbeltiere gemäß § 4 TierSchG nur unter nicht vermeidbarer Schmerzzufügung getötet werden (wobei Stadttauben grundsätzlich nicht als Gesundheitsschädlinge im Sinne des § 2 Nr. 12. Infektionsschutzgesetz einzustufen sind).

Fazit

Eine Bekämpfungsmaßnahme wie ein Taubenfütterungsverbot verstößt gegen die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 17 und 18 des Tierschutzgesetzes, die das Töten eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund sowie das Zufügen von Schmerzen, Leiden oder Schäden ohne vernünftigen Grund ahnden.

 

II. Zur Rechtfertigung der Handlung meiner Mandantin

Und weil das so ist, hat meine Mandantin auch gerechtfertigt gehandelt.

Eine hier in Abrede gestellte tatbestandsmäßige Straßenverunreinigung wäre nach den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstands gerechtfertigt. Das Landgericht Magdeburg hat am 11. Oktober 2017 in einem Aufsehen erregenden Grundsatzverfahren festgestellt: „Tiere sind als nothilfefähig und der Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut anzusehen  (LG Magdeburg, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 28 Ns 182 Js 32201/14 (74/17) – juris).

Voraussetzungen des Notstandes gemäß § 34 sind eine Notstandslage, d.h. eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut, und eine Notstandshandlung, d.h. eine Handlung, die vorgenommen wird, weil die Gefahr nicht anders abwendbar ist.

§ 34 setzt eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut voraus. Notstandsfähig ist jedes Rechtsgut. Das Gesetz spricht hinsichtlich der Notstandshandlung von einer Handlungsweise, die vorgenommen wird, da die Gefahr nicht anders abwendbar sei. Damit ist gemeint, dass die Handlung parallel zur Erforderlichkeit im Sinne von § 32 StGB zur Gefahrenabwehr geeignet sein muss und dass sie das relativ mildeste Mittel sein muss. Kann der Täter also fremde (staatliche) Hilfe nicht in Anspruch nehmen, dann lebt die Berechtigung zur Notstandshandlung auf.

Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass den Belangen des Tierschutzes ein hoher Stellenwert in der Abwägung einzuräumen ist; jedenfalls müssen Sachgüter gegenüber Rechten des Tieres zurücktreten.

Allerdings gilt für den Notstand, dass der Vorrang staatlichen Eingreifens zu beachten ist. Andererseits ist dabei zu beachten, dass die Rechtfertigung von Notstandseingriffen auch sichern soll, dass fundamentale Werte geschützt werden können, „wo die organisiert-regelhafte Notbekämpfung zu spät käme”.

In diesem Spannungsverhältnis wäre es sicherlich verfehlt, wenn Tierschützer von vornherein von der Annahme ausgehen würden, bei den zuständigen Behörden sei keine Hilfe zu erwarten und die Sache nach Art einer Bürgerwehr selbst in die Hand nehmen würden. Bei beharrlichem Untätigbleiben von Dienststellen ist es aber anders. Und genau damit haben wir es zu tun.

Ich spreche jetzt auch als Vorstandsmitglied der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz, der in Berlin-Mitte ein großes Mietshaus gehört. Wir haben dem Bezirk Mitte angeboten, zwei Taubenwagen auf dem Dach unseres Hauses auf unsere Kosten zu errichten. Dort wären unweit des Alexanderplatzes regelmäßig die Eier der brütenden Tauben entfernt worden. Das ist eine in vielen Städten Europas angewandte und bewährte Methode, Taubenpopulationen tierschutzgerecht zu vermindern. Baurechtlich wäre die Errichtung der Taubenhäuser in Ordnung gewesen. Aber obwohl unser erst 1996 errichtetes Gebäude selbst nicht unter Denkmalschutz steht, haben eben diese Denkmalsschützer interveniert, so dass wir bis heute nicht an die Umsetzung der Pläne gehen können. Die Denkmalsschützer sahen ihr ästhetisches Empfinden verletzt, als sie aus ein paar hundert Metern auf unserer Haus schauten und sich vorstellten, dort stünden Taubenhäuser drauf.

Der gleiche Bezirk aber, der wirklich taubenreduzierende Maßnahmen vereitelt, will ein gegen das Tierschutzgesetz verstoßendes Fütterungsverbot durchsetzen. Ich kann nur hoffen, dass der Bürgermeister von Mitte, Herr von Dassel, der den Ruf eines den Tauben wohlgesonnenen Beamten hat, durch das heutige Verfahren mitbekommt, was hier in seiner Behörde abläuft und dass er mit seinen Stadtratskollegen dagegen einschreitet.

Von der hier zuständigen Behörde konnte meine Mandantin also keine Hilfe erwarten. Sie musste und wollte aufgrund ihres Gewissens und ihrer großen Fachkenntnisse zu Tauben etwas zum Schutze der Tiere tun, etwas wozu die eigentlich zuständige Behörde nicht in der Lage war.  Ich plädiere also darauf, dem Einspruch gegen das Bußgeld stattzugeben und zwar aus tatsächlichen, aber auch aus den dargelegten rechtlichen Gründen.

 

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