Tierquälerei

Tierquälerei ist ein seit 1821 (Th. H. Juchem 1940, S. 11) gebrauchter Sammelbegriff für –> Handlungen, durch die Tieren –> Schmerzen, —› Leiden oder—>Schäden zugefügt werden. Zeitweilig wurde alternativ oder gleichzeitig auch von Tiei nißhandlung gesprochen. Im Reichsschutzgesetz von 1933 (—> Gesetzlicher Tierschutz) heißt es in §1 unter der Überschrift T.: „(1) Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu mißhandeln. (2) Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht; unnötig ist das Quälen, soweit es keinem vernünftigen, berechtigten Zwecke dient. Ein Tier mißhandelt, wer ihm erhebliche Schmerzen verursacht; eine Mißhandlung ist roh, wenn sie einer gefühllosen Gesinnung entspringt.”

I. Im deutschen Tierschutzgesetz von 1972 wird keiner der beiden Begriffe mehr verwandt, sondern der Tatbestand wird als Zufügen von Schmerzen, Leiden oder Schäden beschrieben und zugleich differenziert. Nur in der Amtlichen Begründung zum Straf- und Bußgeldparagraph 17 ist noch von tierquälerischen Handlungen die Rede. Im Tierschutzgesetz der Schweiz von 1978 ist der Strafbestimmungsartikel 27 mit T. überschrieben und enthält auch das Verb „quälen” als zufügen von Schmerzen, Leiden oder Schäden. Im Grundsatzartikel 2,3 heißt es: „Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen oder es in Angst versetzen.” In Österreich betrifft das Tierversuchsgesetz (alle anderen Tierschutzbereiche werden im Rahmen der Ländergesetze geregelt) vom 7.3.1974 nur „Eingriffe an oder Behandlung von lebenden Tieren, die für das Tier mit Schmerzen oder Leiden verbunden sein werden” (§ 2).

III. Im Hinblick auf die Eliminierung der Begriffe T. und Tiermißhandlung aus dem deutschen Tierschutzgesetz von 1972 muß man sich fragen, ob damit nicht eine unangemessene Verharmlosung des Tatbestandes erreicht wurde, auch wenn eine Absicht durch gezielte —> Sprachregelung nicht zu vermuten ist. In der Amtlichen Begründung zu dem auch nach 1986 unverändert gebliebenen § 17 gilt jede tierquälerische Handlung wegen der relativen Wehrlosigkeit des Tieres als „besonders verwerflich und strafwürdig .. .” Nur in diesem Satz kommt der mit dem früheren Begriff T. verbundene Abscheu noch zum Ausdruck; aber auch das wird aus dem gesetzlichen und schließlich auch aus dem juristischen Sprachgebrauch verschwinden, wenn die ethische Betrachtungsweise das Unrechtsbewußtsein nicht wachhält.

Andererseits muß akzeptiert werden, daß der Begriff T. im allgemeinen Sprachgebrauch auf besondere Weise täter- und weniger tatbezogen ist. T. wird von einem verabscheuungswürdigen Menschen begangen, der Tiere quält aus Bosheit oder sadistischer Freude an der Qual gemarterter Tiere. Nach traditioneller Vorstellung wird T. auch heute noch als meist vorsätzliches, grundloses und unvernünftiges Quälen verstanden. Solche und ähnliche T. gibt es zwar heute noch, sie spielt aber zahlenmäßig keine Rolle oder wird, weil seit Jahrhunderten so praktiziert und weil das Quälen als solches nicht ins Auge fällt, als eine für unvermeidbar gehaltene Nebenerscheinung sinnvoller Nutzung an- gesehen und daher ohne Unrechtsbewußtsein hingenommen. Vermutlich kommt hier auch noch die gesinnungsethische Überlieferung zum Zuge, die vieles rechtfertigt, solange es nicht in böser Absicht getan wird. Dies ist der verständliche Grund, warum sich viele Tierhalter, Wissenschaftler und andere Betroffene oft so heftig gegen den Vorwurf der T. verwahren.

Die Masse der tierquälerischen Handlungen wird heute ohne jede böse Absicht und oft auch ohne unmittelbare Täter begangen, und zwar von Apparaturen und technischen Haltungssystemen, wie bei der —> Nutztierhaltung und nicht selten auch im —> Tierversuch. Die Quälerei ist also unbeabsichtigt und häufig auch gar nicht sichtbar, zumindest für den Laien nicht, weil es sich weniger um das Zufügen von ->Schmerzen, als vielmehr um Erzeugung psychischer —> Leiden handelt.

Spätestens seit der ethischen Begründung des Tierschutzes (—> Ethischer Tierschutz) soll das Tier aber nicht nur gegen absichtliche und direkte Quälerei, sondern grundsätzlich, also auch gegen das unbeabsichtigte und nur als Begleiterscheinung auftretende Zufügen von Schmerzen, Leiden oder Schäden geschützt werden. Dies ist sicher richtig. Aber auch wer an dieser Zufügung nicht persönlich beteiligt ist, sondern nur (1) durch Anordnung oder (2) durch das Erfinden neuer wirtschaftlicher Nutzungsmöglichkeiten unter Inkaufnahme der für die Tiere damit verbundenen Schmerzen, Leiden oder Schäden zum Verursacher wird, handelt zumindest dann verwerflich, wenn es um wirtschaftlicher Vorteile willen geschieht.

III. T. ist eine Grausamkeit gegen Tiere, und Grausamkeit ist eine „Neigung anderen Leid zuzufügen” (The Oxford English Dictionary 1961).

Es gibt also eine artübergreifende Neigung, andere zu quälen, wie es ja auch ein —> Wohlwollen gibt, anderen Gutes zu tun ohne Rücksicht auf die Artzugehörigkeit. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Tier- und Menschenquälerei, die zwar schon lange gesehen, aber noch nicht genügend untersucht wurde. Immerhin gibt es eine aufschlußreiche Arbeit von Philip Hallie, der (1971 S.40) feststellte: „Grausamkeit gegen Tiere geht nahtlos in Grausamkeit gegen Menschen über”. Auch unter kriminologischem Aspekt wird dieser Zusammenhang gesehen. A. Lorz schreibt (1979, S. 28): „Es darf daran erinnert werden, daß Gewaltverbrecher häufig Tierquäler sind oder waren.”

Weitere Literatur: G. Carson 1972, A. F. Goetschel 1986, S. 157-168, R. von Nippel 1891, H. Juchem 1940, S. 10-12, R. Morié 1984, U. Vogel 1980, K. D. Wiegand 1979.

Copyrights © 2024 Erna-Graff-Stiftung. All Rights reserved.