Update: Tierschutz-Hattrick im Präzedenzfall vor dem OLG Naumburg

22. Februar 2018

Schutz der Tiere geht im Notfall vor Hausrecht

Naumburg/Berlin, 22. Februar 2018 – Das Oberlandesgericht Naumburg hat den Freispruch für drei Tierschutzaktivisten in dritter Instanz bestätigt, die aufgrund von gravierenden Missständen und Vollzugsdefiziten 2013 in Sandbeiendorf (Sachsen-Anhalt) einen der größten Schweineställe Deutschlands betraten und wegen Hausfriedensbruch angeklagt wurden. Die Erna-Graff-Stiftung, die den Prozess maßgeblich unterstützte, begrüßt dieses Urteil als Meilenstein. “Erstmals vor einem deutschen Gericht wurde in dritter Instanz geurteilt, dass Hausfriedensbruch unter Umständen gerechtfertigt sein kann, wenn es kein milderes Mittel gibt, um tierschutzwidrige Zustände aufzudecken.”, so Dr. Eisenhart von Loeper, 1. Vorsitzender der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz.

Jubel im Gerichtssaal: der Vorsitzende Richter Henss fand deutliche Worte im heutigen Prozess zum Tatvorwurf des Hausfriedensbruchs vor dem Oberlandesgericht Naumburg. Treffender sei es nach Henss von „Stallfriedensbruch“ zu sprechen. Den Frieden im Stall hätten jedoch nicht die Tierschützer gestört, sondern der verantwortliche Tierhalter, mit jahrelanger Duldung des Veterinäramts.

Zwar haben die Aktivisten rein formal Hausfriedensbruch begangen, dies war aber gerechtfertigt, da das höherrangige Rechtsgut Tierschutz bedroht war. Der Vorsitzende Richter sah den rechtfertigenden Notstand in nicht zu überbietender Deutlichkeit gegeben. Die Aktivisten hätten einen Skandal aufgedeckt und als Quittung ein Strafverfahren bekommen. In seiner mündlichen Urteilsbegründung lobte Richter Henss wie schon zuvor sein Kollege am Landgericht Magdeburg ausdrücklich das vorbildliche Verhalten der Tierschützer. Die Angeklagten hätten sich freiwillig gegenüber der Staatsanwaltschaft zum Filmen bekannt und damit ein erhebliches persönliches Risiko auf sich genommen. Der Freispruch der angeklagten Aktivisten ist eine juristische Überraschung. „Wir alle sollten froh sein, dass die Angeklagten diese Missstände aufgedeckt haben.“, so der Vorsitzende Richter.

Gleichzeitig kritisierte Henss das betroffene Veterinäramt scharf und sprach davon, dass erst die Tierschützer der Behörde mit ihrem Filmmaterial „auf die Sprünge helfen“ mussten. Das zuständige Veterinäramt sei weder überlastet noch nachlässig, sondern hätte die Missstände über viele Jahre gekannt und geduldet. Richter Henss erläuterte für die rund hundert anwesenden Zuschauer anschaulich sein Urteil: Die Kastenstände wären schon immer zu schmal, denn „das ist keine Jeans, die über Nacht einläuft“. Auch die zu weiten Spaltenböden seien nicht das plötzliche Resultat eines „Erdbebens“.

Diese Sichtweise bekräftigt auch der 1. Vorsitzende der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz: “Erst die Versäumnisse des Veterinäramtes zwangen die Aktivisten zum aktiven Handeln.”, so Dr. Eisenhart von Loeper. “Erfreulicherweise haben nun drei Gerichte in Folge anerkannt, dass das Vorgehen der Tierschützer gerechtfertigt war, um weiteren Schaden von den Tieren abzuwenden.”

Die Gerichte in Haldensleben, Magdeburg und nun auch Naumburg haben anerkannt, dass kein milderes Mittel zur Verfügung stand, um das erhebliche Tierleid abzustellen. Das zuständige Veterinäramt des Landkreises Börde hatte  trotz zahlreicher Hinweise im Vorfeld keine wirksamen Maßnahmen  veranlasst, um die tierschutzwidrigen Zustände zu beenden. In Kontrollen, die nach der Strafanzeige gegen die Tierschützer erfolgten, wurden die von den Tierschützern erhobenen Vorwürfe gegen die Sandbeiendorfer Schweinezuchtanlage bestätigt.

Dennoch betonte der Vorsitzende Richter, sei sein Urteil kein Freibrief für Tierschützer, in Ställen auf eigene Faust zu kontrollieren. Als Voraussetzungen für dieses Urteil waren entscheidend: die Tierschützer haben bereits im Vorfeld konkrete Hinweise auf Missstände im betreffenden Betrieb, staatliche Stellen weigern sich einzugreifen und die Tierschützer halten entsprechende Sicherheitsmaßnahmen wie Schutzkleidung ein, um die Tiere nicht zusätzlich zu gefährden.

Zum Schluss der Verhandlung wandte sich der Richter den Angeklagten zu und verabschiedete sie mit den Worten „Sie sind nun keine Angeklagten mehr.“ Mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes ist der Präzedenzfall nun bundesweit mustergültig. Eine abweichende Rechtsansicht würde die Überprüfung vor dem Bundesgerichtshof nach sich ziehen.

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