Die Große Koalition in Berlin auf Abwegen

16. Mai 2018

Maßnahmen zur Aufdeckung von Kriminalität auf Kosten der Tiere sollen „effektiv geahndet“ werden

Anlässlich des Koalitionsvertrags von Union und SPD und passend zu den aktuellen Auslassungen von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner findet Prof. Dr. Jens Bülte, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Universität Mannheim, im Editorial der juristischen Fachzeitschrift “Strafverteidiger” Ausgabe 06/2018 klare Worte zum Ruf nach einer Verschärfung des Strafrechts für Hausfriedensbruch. Lesen Sie dazu im Folgenden den Kommentar von Dr. jur. Eisenhart von Loeper, Vorsitzender der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz.
Professor Dr. Jens Bülte, Experte für Wirtschaftskriminalität an der Universität Mannheim, kritisiert eindringlich und gut begründet den Koalitionsvertrag von Union und SPD. In ihm wird vollmundig versprochen, man wolle im Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen. Dann aber heißt es: „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden“. Das führe, so Professor Bülte, zu der Frage, ob auch „Menschen bestraft werden sollen, die im Interesse des Tierschutzes als Verfassungsgut und in echter Gewissensnot handeln, um elementares Versagen des Staates und systematische Rechtsverstöße der Agrarwirtschaft aufzudecken.“ Wenn das die Absicht dieses Passus im Koalitionsvertrag sei, werde jedes Bekenntnis der Großen Koalition zum Tierschutz zur Makulatur.
Derartige von Professor Bülte zu Recht scharf kritisierten Bestrebungen entsprechen den Wünschen der Tiernutzerlobby, die keinerlei Interesse an einem Aufdecken des Tierleids in ihren Ställen hat. Als besonders beunruhigend werden die Entscheidungen der Strafgerichte in Sachsen-Anhalt empfunden, die in drei Instanzen bis zum Oberlandesgericht Naumburg geklärt und entschieden haben: Werden schwerwiegende Rechtsverstöße zu Lasten von über 60.000 Schweinen durch Eindringen von Aktivisten in Ställe mit Filmaufnahmen dokumentiert, so ist dies in engem Rahmen gerechtfertigt. Und zwar dann, wenn die zuständigen Behörden Anzeigen wegen schwerwiegender Verstöße gegen den Tierschutz grundlos abweisen. In solchen Fällen verdienen, so die Gerichte, das Verfassungsgut Tierschutz und die Gewissensnot der vom schweren Leiden der Tiere berührten Menschen Vorrang vor dem Hausrecht in solcher Tierhaltungsanlage.
Die auf Spenden dringend angewiesene Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz hat die Verteidigung der Angeklagten maßgeblich finanziert, wofür auch  Rechtsgutachten von Hochschulprofessoren benötigt wurden.  Die angeklagten Tierrechtsaktivisten argumentierten außerordentlich überzeugend und erzielten dank der Unterstützung durch ihre hartnäckigen Anwälte einen Freispruch.
Auf der Basis einer sorgfältigen Klärung der Rechtslage, gelang es der Justiz in diesem Verfahren, ihre gesellschaftspolitisch und rechtsstaatlich unverzichtbare Wächterfunktion für die Umsetzung des Tierschutzrechts wahrzunehmen. Dafür gebührt ihr großer Respekt und Dank. Ein Abwürgen dieser Möglichkeit im Dienste einer kleinen, allein von eigenen Gewinnmaximierungsinteressen angetriebenen Gruppe von Tiernutzern wäre rechtsstaatlich fatal. Der Gesetzgeber darf die höherrangige Verfassung nicht missachten, und die Koalitionsparteien dürfen keinesfalls den genau abgewogenen, „sehr engen Korridor“ (Prof. Bülte) für das Eingreifen durch Nothilfe für schwer leidende Tiere sprengen. Es ist weder rechtlich noch ethisch hinnehmbar, noch nicht einmal im Notfall das Recht schutzbedürftiger Mitgeschöpfe auf eine von schweren Qualen freie Haltung in unserer Gesellschaft höher zu werten als das Eigentumsrecht an Sachwerten. Daher muss der von Professor Büthe kritisierte Passus umgehend gestrichen werden. Die Große Koalition und die Legislative dürfen sich nicht zum Erfüllungsgehilfen skrupelloser Massentierhaltungskonzerne machen.

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