Verbot der Qualzucht bei Nacktkatzen

Es gibt eine ganze Reihe von Katzenrassen die als Qualzucht einzuschätzen sind und ein oder mehrere Qualmerkmale angezüchtet bekommen haben. Besonders auffällig ist dies bei Naktkatzen denen zuchtbedingt die Schnurrhaare (Vibrissen) fehlen. Hier gibt es erste Fälle die eine Zucht von Katzen ohne Vibrissen verbieten:

„Nach §11b ist es ausdrücklich verboten, Tiere zu züchten, die erblich bedingt Schmerzen, Leiden oder Schäden haben“.

Schnurrhaare sind für die Katze von großer Bedeutung bei der Orientierung im Nahbereich. Erst bei ca. 20 cm Entfernung vom Objekt ist es ihnen möglich es scharf zu sehen (Ketring 2014). Sie können das zu nahe Objekt aber mit den Schnurrhaaren betasten und sich so ein ‚Bild‘ davon machen. Die Bedeutung der Schnurrhaare bei Katzen ist eindrucksvoll belegt durch eine Untersuchung an blinden Katzen. Bei diesen wurde der Verlust der Sehfähigkeit kompensatorisch ausgeglichen durch signifikant verstärktes Wachstum der Vibrissen im Gesicht (Rauschecker 1995).

Nahezu haarlose Sphynx-Katze.
Fast haarlose Sphynx-Katze. Foto: Andrea Izzotti, AdobeStock

Das Fehlen eines Sinnesorgans muss als Schaden für das Tier angesehen werden.

Obwohl das Gesetz hier eindeutig ist, waren (und sind) haarlos gezüchtete Katzen ohne Vibrissen auf Ausstellungen zu finden und werden von ihren Züchtern zum Kauf angeboten. Im Berliner Raum ist die Zucht solcher betroffenen Katzen nun nicht mehr möglich. Im Urteil vom 23.09.2015 wurde vom Verwaltungsgericht Berlin ein Zuchtverbot für eine Zucht von Canadien Sphinx Katzen ohne Vibrissen ausgesprochen.

Der Fall: Zuchtverbot für Nacktkatzen ohne Schnurrhaare in Berlin

Die Züchterin des zugrunde liegenden Falls hielt und züchtete haarlose Katzen der Rasse Canadian Sphinx. Ihrem Zuchtkater fehlten komplett die Vibrissen, inklusive der Haarfollikel in der Haut. Der Kater wies weder Schnurrhaare noch Wimpern noch Tasthaare an anderen Körperstellen auf.

Das Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt des Bezirksamts Spandau untersagte ihr deshalb nach § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG („Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.“) die Zucht und forderte sie auf, den von ihr gehaltenen Kater kastrieren zu lassen. Hiergegen wandte sich die Züchterin und der Fall wurde vor dem VG Berlin verhandelt. Das Gericht bestätigte mit dem Urteil vom 23. September 2015, Aktenzeichen: VG 24 K 202.14, die Rechtmäßigkeit des Zuchtverbots. Die Zucht wurde in Berlin eingestellt.

Vor Gericht musste jedoch zunächst geklärt werden, ob die Tasthaare in der Tat als Sinnesorgane zu werten sind. Dies wurde durch ein tierfachärztliches Gutachten bestätigt. Aus den Entscheidungsgründen:

Dass das Fehlen funktionsfähiger Tasthaare nicht lediglich eine nur geringfügige oder rein optische Abweichung darstellt, ergibt sich dabei schon daraus, dass es sich bei den Tasthaaren um für alle Katzen wesentliche Sinnesorgane handelt (s. o.), mit deren Hilfe sich Katzen ihrer Art entsprechend bei dunklen Lichtverhältnissen und an engen Stellen orientieren und die außerdem den Katzen zur Kommunikation dienen. Diese Abweichung ist von einem solchen Gewicht, dass sie von dem gerichtlich bestellten Gutachter zu Recht als Schaden qualifiziert worden ist: „..dass das Fehlen der Tasthaare von Katzen und die damit einhergehende Einschränkung der Nachzucht bei Wahrnehmungen im Nahbereich, beim Fangen und Abtasten der Beute und bei der Aufnahme sozialer Kontakte als „Körperschaden“ zu bewerten sei, der die Katze in ihrer Fähigkeit zu arttypischem Verhalten so einschränke, dass dies zu andauernden Leiden führt“ (Zusammenfassung Seite 8 des schriftlichen Gutachtens). Das Vorliegen eines Schadens hat er (der Gutachter) in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich bestätigt (vgl. Protokoll, Seite 4 unten) und dabei auch den Einwand zurückgewiesen, ein Schaden liege deshalb nicht vor, weil das Tier den Mangel anderweitig ausgleichen könne. Die Kammer macht sich die überzeugenden Ausführungen des Gutachters zu Eigen, die durch die Klägerin nicht substantiiert in Zweifel gezogen worden ist.

Es ist nun durch das Gericht erwiesen, dass das Fehlen von Tasthaaren als ein Fehlen von Sinnesorganen zu werten ist. Ihr Fehlen ist eindeutig ein Schaden für das Tier. Das Gericht ging ebenfalls auf das Argument ein, Verhaltensauffälligkeiten müssten nachgewiesen werden, um einen Schaden für das Tier nachzuweisen. Das Gericht stellte fest: „Auf etwaige Verhaltensauffälligkeiten kommt es nicht an. Ein Schaden im Sinne des § 11b Abs. 1 TierSchG liegt schon bei einer nicht unerheblichen Abweichung vom Normalzustand vor. Zudem sind Verhaltensauffälligkeiten aufgrund fehlender Tasthaare nur schwerlich feststellbar, da zu erwarten ist, dass die Candian-Sphynx-Katzen das Defizit durch andere Sinnesorgane (teilweise) kompensieren. Für die Annahme einer verbotenen Qualzucht reicht es nach § 11 b TierschG aber aus, dass bei der Nachzucht ein erblich bedingter Schaden zu erwarten ist; etwaige Schadenskompensationen schließen das Verbot nicht aus“. Tatsächlich kommen auch taube Katzen (z.B. s.o. Katzen mit Farbgen W) in aller Regel gut in (ihrer vertrauten) Umgebung zu recht. Das gilt auch für die in der Wohnung gehaltenen Nacktkatzen. Laut Gericht muss nun aber nicht nachgewiesen werden, dass derart gehandicapte Tiere sich auch auffällig verhalten.

Die Neufassung des Paragraf 11b Abs. 1 TierSchG durch das Dritte Änderungsgesetz von 2013 erlaubt nun ein Verbot einer Qualzucht, wenn nach züchterischen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Prognose gerechtfertigt ist, dass das Fehlen oder die Untauglichkeit oder die Umgestaltung von Körperteilen oder Organen für den artgemäßen Gebrauch vererbt wird und dass auf Grund dieser Vererbung Schmerzen, Schäden oder Leiden bei der Nachzucht oder deren Nachkommen auftreten. Es muss nun nicht mehr überwiegend wahrscheinlich sein, dass Schäden signifikant häufiger auftreten, als es zufällig zu erwarten wäre. In der alten Fassung des §11b konnte die lediglich naheliegende Möglichkeit, dass es zu Schäden kommen werde, nicht ausgereichen für ein Zuchtverbot (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 17.12.2009, 7 C 4/09 Haubenenten). Im Falle von Sphynx- oder Nacktkatzen konnten züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass die Nachzucht erblich bedingt keinerlei oder jedenfalls keine funktionsfähigen Tasthaare aufweisen werde. In den Entscheidungsgründen des VG Berlin zum Urteil wird die züchterische Erkenntnis so formuliert:

„Der unbestimmte Rechtsbegriff der „züchterischen Erkenntnisse“ ist trotz des wertenden Charakters gerichtlich voll überprüfbar. Sie liegen nach Auffassung der Kammer vor, wenn aufgrund allgemein zugänglicher Quellen (insbesondere Stellungnahmen von Zuchtverbänden, Fachzeitschriften, Fachbüchern und tierärztlichen Gutachten) bestimmte Erfahrungen mit der Zucht bestimmter Tierrassen bestehen, die sich wegen ihrer Übereinstimmung zu züchterischen Erkenntnissen verdichten. Dabei reicht es aus, dass sich in entsprechenden Fachkreisen eine überwiegende Auffassung zu einer bestimmten Zucht herausbildet. Vereinzelte, entgegenstehende Meinungen und Auffassungen bestimmter Züchter, Vereine oder Gutachter stehen züchterischen Erkenntnissen nicht entgegen, soweit sich aus ihnen nicht gewichtige Aspekte aufgrund neuerer Forschungen ergeben. Für die Qualifizierung einer tierschutzrechtlichen Qualzucht kommt es lediglich auf entsprechende Erfahrungen und Erkenntnisse, nicht aber auf nachgewiesene Tatsachen an. Dabei reiche es aus, dass sich in entsprechenden Fachkreisen eine überwiegende Auffassung zu einer bestimmten Zucht herausbilde. Vereinzelte, entgegenstehende Meinungen und Auffassungen bestimmter Züchter, Vereine oder Gutachter stehen züchterischen Erkenntnissen nicht entgegen, soweit sich aus ihnen nicht gewichtige Aspekte aufgrund neuerer Forschungen ergeben. Für die Qualifizierung einer tierschutzrechtlichen Qualzucht kommt es lediglich auf entsprechende Erfahrungen und Erkenntnisse, nicht aber auf nachgewiesene Tatsachen an“.

Tatbestand und Entscheidungsgründe des Gerichts können nachgelesen werden bei „Service des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in Kooperation mit juris“.

Eine Reihe von deutschen Katzenzuchtverbänden haben Empfehlungen ausgesprochen hinsichtlich des Verzichts von Zucht mit Katzen ohne Tasthaare. Die Fédération internationale Féline (FIFe) listet in ihren Zucht- und Registrierungsregeln vom 01.01.2017 unter Punkt 3.6 „Nicht zur Zucht zugelassene Katzen“, auch Katzen ohne Schnurrhaare auf. Der Deutsche Edelkatzenzuchtverband ist in Deutschland einziges Mitglied der FIFe und gibt in seinen Zuchtrichtlinien an, dass mit Katzen ohne sichtbare Tasthaare nicht gezüchtet werden darf (Punkt 3h der Zuchtrichtlinien). Die Forderung ist hier allerdings ‚sichtbar‘ und nicht nach ‚funktionsfähig. Für letzteres müssen die Vibrissen lang und ungekräuselt sein und nicht zum Abbrechen neigen. Trotzdem zeigt ein Blick in die Züchterportale und auf die Verkaufsanzeigen, dass dies nicht unbedingt beachtet wird. Auch sind nicht alle Rassezuchtverbände an die FIFe oder den DEKZ angeschlossen. Zum anderen wird der Markt auch mit stammbaumlosen Tieren bedient, also von ‚Züchtern‘ die mit ihrer Hobbyzucht keinen Zuchtregeln unterworfen sind.

Die Bundestierärztekammer (BTK) betonte, dass die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichtes, die Zucht von Nacktkatzen als Qualzucht anzusehen Signalwirkung habe, aber stellt auch fest, dass bei Qualzucht-Tieren die Nachfrage das Angebot bestimmt und deshalb Verbote leider wenig helfen solange solche Tiere gekauft werden. Der Weg zu einer qualfreien Haustierzucht muss sicherlich auch über die potentiellen Käufer gehen. Nicht nur die Züchter sondern auch die zukünftigen Halter müssen aufgeklärt werden und die Informationen müssen allen zugänglich gemacht werden. Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes Thomas Schröder aber fordert eine Verschärfung und Konkretisierung des § 11 b. Im Nacktkatzenurteil sieht er „nur eine richtige Einzelfallentscheidung“ und „ein erfreuliches Signal für den Tierschutz“. Doch Veterinärämter und Gerichte bräuchten dringend eine verbindliche Definition von Qualzuchtmerkmalen.

Mit oder ohne Schnurrhaare, Nacktkatzen würden nicht diesen Namen tragen, wenn sie ein intaktes Haarkleid hätten. Das Gutachten spricht jedoch nur für solche Tiere ein Zuchtverbot aus, denen die Schnurrhaare fehlen. Die Haut aber ist ein Organ und nur mit den arttypischen Drüsen, Rezeptoren und Haaren wirklich voll funktionsfähig. Haarlose Katzen haben mit diversen Hautproblemen zu kämpfen und brauchen ständige Pflege –baden, eincremen, Schutz vor Sonne, Schutz vor Kälte. Ihnen fehlen ebenfalls die Tasthaare an den Extremitäten, die für die Bewegung und Stellreflexe wichtige Informationen liefern. Ebenfalls fehlen die Vibrissen an den Augen, die den Schutzreflex zum Lidschluss auslösen.

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