Art und Weise des Menschen, sich andere Lebewesen, aber auch Gottheiten oder sogar Maschinen, menschenähnlich vorzustellen. A. ist bei Kindern und Naturvölkern (-> Kinder und Tiere) der Normalfall und wird erst aufgrund fortschreitender Kenntnis der Unterschiede bis auf meist unbewußte Reste abgebaut.
Auch die Wissenschaft ist bis zum Ende des letzten Jahrhunderts insbesondere im Bereich der -* Tierpsychologie schweren anthropomorphen
Irrtümern erlegen und erliegt ihnen heute wieder, wie H. Hediger (1980, S. 112-16o) feststellte. Auch bei Tierfreunden ist der A. noch verbreitet
und oft genug mit unerwünschten Folgen verbunden, etwa für das nur scheinbar verlassene Rehkitz, das Tierfreunde mit nach Hause nehmen und aufpäppeln. Handelt es sich dabei um ein männliches Tier, dann wird es mit beginnender Geschlechtsreife zum Problem. Der junge Rehbock hält nämlich nun seinerseits den Menschen für ein artgenössisches Wesen und geht entsprechend mit ihm um. Der Rehbock macht also einen ganz ähnlichen Fehler wie der das Tier vermenschlichende Mensch, indem er den Menschen vertierlicht -> Zoomorphismus. Der Mensch muß also wissen, daß er dem Tier, gerade weil er es liebt, nicht nur in seiner Ähnlichkeit und entsprechend ähnlichen Bedürfnissen, sondern auch in seiner Andersartigkeit und entsprechend anderen Bedürfnissen (-> Mensch-Tier-Vergleich) gerecht werden muß. Als A. wird jedoch nur die fälschlicherweise oder irrtümlich erfolgende Vermenschlichung, nicht aber die Feststellung tatsächlicher Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten verstanden. Dabei kann auch unter Wissenschaftlern Meinungsverschiedenheit darüber entstehen, ob ein Befund auf tatsächlicher Ähnlichkeit beruht und entsprechende Folgerungen erlaubt (-> Analogie, Analogieschluß) oder ob beim Forscher unbewußte A.en im Spiel waren. Auch hier ist Vorsicht geboten, denn A. ist wohl der schwerste Vorwurf, den man gegen einen Ethologen oder Tierpsychologen erheben kann. Man kann die Angst vor dem A. aber auch übertreiben und dabei das Opfer eines anderen Irrtums werden, der zwischen Mensch und Tier kaum mehr Ähnlichkeiten zuläßt, sondern das Tier – wie früher Descartes – als eine Art Maschinenwesen auffaßt. Um dem A.-Vorwurf zu entgehen, hat sich die moderne –> Ethologie von der älteren -> Tierpsychologie losgesagt. Damit hat die Ethologie ein zwar heikles, aber doch wichtiges Forschungsfeld einfach brachliegen lassen. Hediger hat diese Situation mehrfach bedauert, und V. G. Dethier (1964, S. 1139) sagt sogar: „Ohne disziplinierten Anthropomorphismus hinkt jegliche Erforschung des Verhaltens. Der A. hat einen heuristischen Wert beim derzeitigen Stadium der Forschung und dürfte mit mehr Mut eingesetzt werden.”
(Deutsch nach Paul Overhage [1972, S. 24]). Mehr hierüber unter dem Stichwort -> Tierpsychologie. Weitere Literatur: H. Hediger 198o, insbesondere das Kapitel „Die Angleichungstendenz- Vermenschlichung und Vertierlichung”, R. Lockwood 1986, P. Overhage 1972, S. 19-24.