Biblische Tierschutzethik

Biblische Tierschutzethik kann unter verschiedenen Ordnungsaspekten referiert werden. Eine Naturschutzkommision der Kirche Augsbur- gischer Konfession und der Reformierten Kirche im Elsaß hat sich in einer gemeinsamen Stellungnahme (veröffentlicht in dem von Girard Siegwalt herausgegebenen Sammelband 1979, S. 16-19) an das „Trinitarische Bekenntnis der Kirche” gehalten: (1) Gott Vater als Schöpfer des Himmels und der Erde, (2) Gott Sohn als Erlöser der „gefallenen” Schöpfung und (3) Gott Heiliger Geist als bleibende Wirkungsmacht; vgl. hierzu das grundlegende Werk von Jürgen Moltmann (1985).

I. B. T. beruht nach alttestamentlicher Sicht auf dem Auftrag Gottes an den Menschen, über die Tiere zu herrschen (1. Mose 1,26). Der Mensch hat also eine Sonderstellung, auch wenn die damit verbundene Herrschaft nicht so absolut gemeint ist, wie es oft dargestellt wurde. Zwar sieht auch die neuere Bibelexegese noch die aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit herausgehobene Stellung des Menschen, aber nur in Verbindung mit einer durch Verantwortung für das untergebene Tier begrenzten Treuhandschaft (—> Anwalt der Tiere), die der Mensch in Got- tes Auftrag ausübt — nicht als eine Art Halbgott, wie man aus Psalm 8 gelegentlich herausgelesen hat (vgl. —> Sonderstellung III), sondern nach Karl Barth (1970 Bd. III,i, S. 210) als „primus inter pares”, d. h. als Erster innerhalb der großen Gemeinschaft der Geschöpfe Gottes. In dieser Ge- meinschaft hat der Mensch und jedes andere Geschöpf seine Eigenart, sein Lebensrecht, seinen Platz und seine eigene Würde; in diesem gro- ßen Zusammenhang ist auch die —Menschenwürde nur eine Spezialform der — > geschöpflichen Würde. Der Theologe Helmut Thielicke hat die Herrschaft des Menschen (1977, S. 63) so gesehen: „Diese dem Menschen geschenkte, ihm anvertraute Überlegenheit kann sich nicht gegen die wenden, die ihm nachgeordnet sind. Denn wenn er seine Herrschaft im Namen Gottes ausübt, kann der Mensch sie auch nur ausüben im Namen jener Liebe, die ihm selbst widerfährt, und im Namen jener Fürsorge, die Gott allen Geschöpfen zuwendet.”

Nach der biblischen Schöpfungsgeschichte sind die sensitiven Lebewesen, also Menschen und Tiere, aus der übrigen Schöpfung durch den ihnen zugesprochenen Segen (1. Mose 1,22 und 28) deutlich herausgehoben und in einem besonderen Akt einander zugeordnet (1. Mose 2,19): Gott führt dem Menschen die Tiere zu, damit er ihnen ihre Namen gibt. Somit wird die Herrschaft des Menschen nicht nur bekräftigt, sondern auch aus der Anonymität herausgehoben, vielleicht in Analo- gie zu der Beziehung, die Gott mit dem Menschen eingegangen ist ges 43,1): „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.” Das Tier ist Gehilfe und Schutzbefohlener des Menschen. So ist es nur konsequent, daß diese Beziehung das spätere Gesetz des Jagens und Gejagtwerdens noch ausschließt: Menschen und Tieren wird pflanzliche Nahrung zugewiesen (1. Mose 1, 29f.); der Mensch ist als Gärtner oder Ackerbauer geplant, nicht als Jäger oder Fallensteller.

Orientierungspunkt ist also der Schöpfungsfriede, wie er in den paradiesischen Urzustand nachträglich hineingesehen und in der gewaltigen Vision des Propheten Jesaja als Endziel verheißen wird, eine Welt, in der nicht nur die Schwerter zu Pflugscharen werden (Jes 2, 4), sondern auch der Friede zwischen Mensch und Tier, ja sogar der Friede zwischen den Tieren untereinander wiederhergestellt wird: Ein Säugling spielt vor der Höhle der Natter, Wolf und Schaf leben in Frieden, der Löwe wird zum Weidetier (Jes 11, 6 ff.).

Gott gibt auch die gefallene Schöpfung nicht auf. Und wenn auch der generelle Schöpfungsfriede gestört und Fleischnahrung zugelassen ist, im Bild der rettenden Arche (i. Mose 7, 2f.) kommt Gottes Heilswille zum Ausdruck. Gott bleibt ein barmherziger Herr seiner Schöpfung: Die Nutztiere sind der Großfamilie zugeordnet, in die Sabbatruhe (2. Mose 20, 10) einbezogen, und die Stadt Ninive wird nicht nur wegen der Menschen, sondern ausdrücklich auch wegen der Tiere (Jon 4,11) verschont. Die vom Menschen geforderte Barmherzigkeit erscheint zuerst als Eigenschaft Gottes.

Gott wird als Erhalter seiner Welt bezeugt, in der alle Geschöpfe ihren zugewiesenen Lebensraum haben (Ps 104), und läßt ihnen sagen: „Fürchtet euch nicht, ihr Tiere des Feldes” (Joel 2, 22), und entsprechend heißt es von Gott in Ps 50, iof.: „Alle Tiere im Walde sind mein und das Vieh auf den Bergen, da sie bei tausend gehen. Ich kenne alle Vögel auf den Bergen und allerlei Tier auf dem Felde ist vor mir.”

Die Literatur zum Thema Mensch und Tier im Alten Testament fließt reichlich, hier eine Auswahl: Karl Barth (1970 Bd. III/1), Gerhard Friedrich (1982), Heinrich Groß (1967), Marie-Louise Henry(1958), Otto Kaiser(1963), Klaus Koch (1983), Hans-Joachim Kraus (1966), Michael Landmann (1959) Norbert Lohfink (1974), Werner H. Schmidt (1973), Odil H. Steck (1978), Claus Westermann (1966 und 1972), Franz-Elmar Wilms (1978).

II. Im Neuen Testament treten die Mitgeschöpfe hinter der Aktualität des Erlösungsgeschehens zurück, aber diese Erlösung geschieht ausdrücklich auch für sie. Im sehnsüchtigen Harren der Kreatur (Röm 8,19) ist die Einheit von Mensch und Tier im Leiden erkennbar. Der Erlöser ist Fleisch geworden und hat die Leiden aller Geschöpfe durchlebt, davon auch 4o Tage und Nächte mit den Tieren der Wüste. Entsprechend wird Jesus im Kolosserbrief als „Erstgeborener aller Geschöpfe” (1,15) gesehen und als der, „der alles versöhnt, es sei auf Er- den oder im Himmel” (1,16). In Christus verschmilzt die Verheißung der jesajanischen Vision zur Erwartung des Reiches Gottes, um dessen Erscheinen der Christ betet: „Dein Reich komme.” In dieser Hoffnung auf das Kommen des Gottesreiches kann entsprechendes —> Handeln des Menschen fruchtbar werden, zu dem der Christ als Mitarbeiter Gottes gerufen ist, wie es in den Reich-Gottes-Gleichnissen und von Paulus (1. Kor 3, 39) betont wird.

Dies ist in großen Zügen der Gesamtrahmen, in dem die allgemeine Richtlinie biblischer —>Mensch-Tier-Beziehungzu sehen ist: „Der Gerech- te erbarmt sich seines Viehs, aber das Herz des Gottlosen ist unbarm- herzig” (Spr 12, 10; zur Bedeutung dieser Norm s. —> NutztiereII).

Auch zur neutestamentlichen Mensch-Tier-Beziehung gibt es reichlich Literatur, wie etwa z. B. Wolfgang Beinert (1974), Walter Bindemann (1983), Hans Conzelmann (1968), Erich Fascher (1965), Erich Griißer ( i m ) , Ernst Käsemann (1974), Friedrich Pater (1954/55), Karl Heinrich Rengstorf (1968), Georg Siegmund (1966), Anton Vögtle (1970).

III. B. T. unter dem Wirken des Heiligen Geistes ist am Kommen des Gottesreiches, der allumfassenden Versöhnung Gottes mit der in Schmerzen und Wehen liegenden Kreatur, Menschen und Tieren, orientiert. „Wo die Versöhnung gelebt wird”, sagt die eingangs erwähnte Stellungnahme elsässischer Kirchen, „wo neue Beziehungen den Menschen mit sich selbst, mit den anderen, mit der Schöpfung und mit den Dingen verbinden, da ist die neue Schöpfung schon am Werk . . .”

Von der großen Friedensvision hat die Christenheit bisher immer nur die Versöhnung der Menschen untereinander gesehen, das Umschmieden der Schwerter in Pflüge und Winzermesser. Der Friedenswille des heiligen Franziskus (—> Brüderlichkeit) hat immer auch den Frieden mit der außermenschlichen Kreatur gesucht und in Annäherungen auch gefunden, denn die Beziehung des Heiligen war auch im Blick auf die Schöpfung ein Stück vorweggenommenes Reich Gottes. Werner Dettloff schrieb (1956): „Gewiß, Franziskus liebte die Blumen, die Bäume, die Tiere und die Menschen, die Sonne, den Himmel, das Wasser und das Feuer, weil Gott sie alle geschaffen hat; aber das sagt noch nicht alles. Jener einzigartige Umgang mit den Tieren vor allem ist ein Teil und zugleich die Bestätigung für die Erfüllung einer Aufgabe, die der Herr ihm gestellt hat, nämlich den Frieden Gottes wieder in die Welt zu tragen, einen Schein der wiederhergestellten Ordnung des Paradieses aufleuchten zu lassen . . . Es braucht uns nicht zu wundern, . . . daß ein Glanz des Reiches der Endzeit auf ihm lag, wie es Jesaja geschaut: ,Der Wolf ist bei dem Lamm zu Gast, der Panther lagert bei dem Böcklein . . .'”

Auch Albert Schweitzer (-> Ehrfurcht vor dem Leben) hat diese Mehr- schichtigkeit des Friedens gesehen und angestrebt. Er hat sich darum bemüht, „die ins Universelle erweiterte Ethik der Liebe” als Ethik Jesu erkennbar zu machen, das anthropozentrisch verengte Christentum wieder für die ganze Schöpfung zu öffnen.

Nach der neutestamentlichen Verheißung der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes” geht der Mensch der übrigen Kreatur voraus, die darum so sehnsüchtig auf die „Offenbarung der Kinder Gottes” wartet (Röm 8). Das Reich Gottes kommt aber nicht auf äußerliche Weise, sondern (Lk 17, 20 f.) es entsteht im Menschen und wirkt in seinem Tun. Die Neuerschaffung der Erde (Fes 65,17) beginnt mit dem in Christus erneuerten Menschen, der dadurch zum Gotteskind wird und seiner Berufung, Gottes Ebenbild auf Erden zu werden, nachlebt. Und da nach Thomas von Aquin keine andere Tugend den Menschen Gott so ähnlich machen kann, als die —> Barmherzigkeit, verbindet sich in ihr die Hoffnung der leidenden Kreatur mit dem Beitrag, den der Mensch zur Erfüllung dieser Hoffnung erbringen kann, denn „das verheißene ,Reich Gottes’ wird durch die der Barmherzigkeit selbst eignende persönliche Beziehung zu Haupt und Gliedern immanent mitverwirklicht” (R. Angermair1957).

IV. Bibel und Bibelausleger sehen offenbar im Tier ein Wesen, das in das christliche Liebesgebot einzubeziehen ist. Dem würde vermutlich auch Basilius Streithofen noch zustimmen, auch wenn er in einem Interview (1985) sehr auf Distanz zum Tier und zum Tierschutz gegangen ist.

Früher hat die Bibelexegese das Tier oft übersehen und gelegentlich auch das Unübersehbare, wie etwa die Jesaja- und Römer-8-Stelle einfach als bloßes Bild oder als Poesie abgetan. Dies hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Nur Anton Vögtle vertritt (1970, S. 19o) in der Römer-8-Bewertung eine abweichende Position. Er kommt nämlich zu einem für die außermenschliche Kreatur niederschmetternden Ergebnis, „daß zwar die ganze Schöpfung bis jetzt zusammen seufzt und zusammen in Wehen liegt, ohne daß hier oder im folgenden auch nur andeutend vom Endschicksal der Schöpfung die Rede wäre . . .” Nach Ernst Käsemann ist diese Exegese nur schwer in den Kontext paulinischen Denkens einzufügen und 1974 (S. 224) spricht er dann ausdrück- lich von der „großen Verheißung für alle Kreatur bis in die außer- menschlichen Bereiche hinein”. Und so darf man mit W. Trilling (1965, S. 264) sagen: „Soll der Mensch aus seinem todverfallenen Leben herausgeholt und zu einem dauernden Leben erneuert werden, so muß die ganze Schöpfung miterlöst werden. Das ist biblische Überzeugung von den ersten Zeilen des Buches Genesis bis zu den letzten Zeilen der Offenbarung des Johannes, wo der erlöste Mensch nur in einem ,neuen Himmel und einer neuen Erde’ bestehen darf (Apg 21,1).”

Ein wichtiges Ergebnis der neutestamentlichen Bibelexegese findet sich in der Untersuchung von Karl Heinrich Rengstorf unter dem Titel „Tiere in der Verkündigung Jesu” (1968). Auf S. 385 f. schreibt er: „So gewiß der Mensch dem Tier überlegen ist, so gewiß hat er nicht das Recht, seine Überlegenheit einseitig für sich auszunutzen. Im Ganzen der Natur stehend, schuldet er, der in seiner Welt für sich Gerechtigkeit erwartet, solche auch dem Tier, mit dem er zu tun hat, gleichgültig, daß es nicht in der Lage ist, eine entsprechende Forderung an ihn zu richten. Es ist diese Gerechtigkeit, die sich in einem Verhalten zum Tier reflektiert, die beide zugleich sachlich und ohne jeden sentimentalen Einschlag sind, der die Grenze zwischen Mensch und Tier prinzipiell aufhebt.”

Mit dieser Forderung nach —> Gerechtigkeit, der (5. 389 f.) noch die nach —>Solidarität folgt, wird die Barmherzigkeit in besonderer Weise unterstrichen. Rengstorf schreibt (S. 392) in bezug auf Jesus: „Die Selig- preisung der Barmherzigen in seinem Munde . . . schränkt den Raum der Barmherzigkeit nach keiner Seite hin ein. Das ist in unserem Zusam- menhang wichtig genug, weil unmittelbar zuvor denjenigen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen, die Erfüllung ihres Verlangens verheißen wird. Hier wird im Bilde Gottes die Barmherzigkeit der Gerechtigkeit vorgeordnet bzw. zu ihrem Interpretament erhoben, wie es die Väterlichkeit Gottes als Grundzug seines Wesens verlangt. Das tritt bei Lukas noch deutlicher als bei Matthäus hervor, wenn bei ihm Jesus seine Jünger ermahnt: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist” (Luk 6, 36).

V. Die traditionelle Bibelexegese leidet unter dem Mangel einer meist unbewußten anthropozentrischen Sichtweise und wird so zur Stütze der christlichen Variante des —>anthropozentrischen Humanismus; vgl. hierzu auch —>Vegetarismus II/2. Wem fällt schon auf, daß in Joh 1,14 nicht gesagt wird „das Wort ward Mensch”, sondern „das Wort ward Fleisch”, also Geschöpf schlechthin?

In der Vorweihnachtszeit 1976 ging die Frage durch einige Zeitungen, ob die von Ebermut Rudolph begründete „Kemptener Tier- und Kinderweihnacht” eingeschränkt werden müsse, und zwar nicht nur aus äußeren, sondern auch aus theologischen Gründen, weil Gott ja schließ- lich als Mensch und nicht als Tier zu uns gekommen sei. Die Antwort von Karl Barth (1970, Bd. III/2, S. 165) ist klar: „Gott brauchte nicht Tier, nicht Pflanze, nicht Stein zu werden, weil damit, daß er Mensch wurde, auch für das konkrete Zusammensein von Tier, Pflanze und Stein mit ihm als ihrem Schöpfer alles nötige geschehen ist. Wie und inwiefern? Darauf können wir im Blick auf Tier, Pflanze und Stein allerdings keine Antwort geben. Und daß wir das nicht können, daß das für uns ihr Geheimnis ist, das unterscheidet sie von uns aus gesehen von uns selber. Man vergesse nicht, daß ja eben damit auch die Besonderheit der sonstigen Kreatur uns Menschen gegenüber zu Ehren kommt. Ihre Eh- re ist die Verborgenheit ihres Seins mit Gott nicht weniger, als unsere Ehre dessen Offenbarsein ist. Denn was wissen wir schließlich, welches die größere Ehre ist? Was wissen wir, ob es sich wirklich so verhält, daß der äußere Kreis der anderen Geschöpfe nur um des inneren, nur um des Menschen willen da ist? Was wissen wir, ob es sich nicht gerade umgekehrt verhält? Was wissen wir, ob nicht beide Kreise, der äußere und der innere, je ihre eigene Selbständigkeit und Würde, je ihre besondere Art des Seins mit Gott haben? Was besagt ihre Verschiedenheit gegenüber der Tatsache, daß der Mensch Jesus als geschöpfliches Wesen beider Kreise Mittelpunkt ist?”

Weitere Literatur: J. Bernhart 1961, M. Damien 1978, A. Ganocy 1982, M. Huber 1959, C. W. Hume 1957, G. Liedke 1985, Norbert Lohfink 1977, Andrew Linzey 1976, Jürgen Moltmann 1985, W. Pangritz 1963, M. Pfliegler 1961, E. Rudolph 1979, S. 43- 76, J. Schreiner 1985, T. H. Schütz 1928, W. Tanner 195o, G. M. Teutsch 1975, S.114-151.

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