Brüderlichkeit

Brüderlichkeit ist das idealerweise unter Geschwistern übliche und auf größere Gruppen übertragene Verhalten. Es beruht auf einem Gefühl enger Zusammengehörigkeit, hat aber zwei verschiedene Wurzeln: (1) die christliche Brüderlichkeit der Kinder Gottes und (2) die Philosophie der spätantiken Stoa, die von der Gemeinsamkeit aller Menschen ausgeht und von da aus auch die damals übliche Sklaverei ablehnt. In der Aufklärung kommt es zu einer zeitweiligen Verschmelzung der beiden Konzeptionen zu einer mehr ethisch-politischen Forderung, die in diesem Sinne auch in die Ziele der Französischen Revolution und schließlich in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 eingeht.

Unter ethischem Aspekt (->. Tierschutzethik) bedeutet B. eine die Artgrenze überschreitende Zusammengehörigkeit, wie sie auf Franz von Assisi zurückgeführt wird, der alles Geschaffene um des Schöpfers willen liebte und so zum Begründer einer eigentlich theozentrischen, also den Schöpfer in den Mittelpunkt stellenden und alles Seiende umfas- senden Schöpfungsethik wurde. In der Proklamation zum Patron der Umweltschützer durch Papst Johannes Paul IL (am 29. 11. 1979 unterzeichnet und am Ostersonntag, dem 6.4. 198o in Rom verkündet; Acta Apostolicae Sedis 1979, S. 1509) kommt die weltweite Bedeutung des Heiligen der Schöpfung sichtbar zum Ausdruck. Schon Lynn White jr. hatte einen entsprechenden Vorschlag gemacht (1973, S. 88), der dann, von dem „Planning Environmental and Ecological Institute for Quality Life”als Wunsch formuliert, an den Vatikan gerichtet wurde.

Franziskus hat keine Ethik hinterlassen, aber aus der Analyse seines überlieferten Handelns und anhand der theologischen Überlegungen, die sein Biograph Thomas von Celanozur Begründung des schon damals als mindestens exzentrisch empfundenen Tuns anstellte, findet man Leitlinien, die auch für unsere Zeit maßgeblich sind.

Daß Franziskus auch zeitbedingten Irrtümern (auch dem–>Anthropomorphismus) ausgeliefert war, ändert nichts an der Grundrichtung seiner umfassenden Liebe, die bei näherem Hinsehen durchaus auch sinn- volle Abstufungen erkennen läßt. So hat er zwar auch in der unbelebten Natur Brüder und Schwestern gesehen und geliebt, aber es leuchtet ein, daß er nur den Lebewesen gepredigt hat und daß von Hilfeleistungen nur gegenüber Menschen und Tieren berichtet wird: er hat also deutlich zwischen der belebten und der unbelebten Schöpfung unterschieden und innerhalb der belebten Schöpfung der leidensfähigen Kreatur seine besondere Fürsorge zugewandt.

Die B. des heiligen Franziskus ist radikalisierte —> biblische Tierschutz- ethik und hat alle christlichen Konzeptionen beeinflußt. Sie sprengt die traditionellen Grenzen der auf den Menschen eingeengten —>Nächstenliebe und legt so auch den Grund für die spätere Ausweitung des Gedankens der —>Humanität.

Die franziskanische B. ist eine besondere Art des —> Wohlwollens, die dem Unterlegenen über alle Unterschiede hinweg entgegegenkommt und so die bestehende Hierarchie zwar nicht aufhebt, aber doch über- windet. Sie verbindet auch den —>Tierschutz mit dem —*Natur- und —> Umweltschutz und ist ein überzeugendes Beispiel dafür, daß die Liebe zu den Mitgeschöpfen die Liebe für den Mitmenschen nicht ärmer, son- dern reicher macht. Der —> Tierfreund-Menschenfeind-Komplex findet hier seine Überwindung.

Weitere Literatur: E. A. Armstrong 1973, E. Benz 1977, W. Dettloff 1956, J. lilies 1978, L. Junge 1932, A. Kastler 1979, H. Mislin und S. Latour 1982, W. Nigg 1962, Thomas von Celano 1964.

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