Kompromiß

Kompromiß bedeutet Übereinkunft durch beiderseitiges Nachgeben und sucht den Ausgleich zwischen unterschiedlichen Positionen, Meinungen oder —> Interessen. —> Konflikte und die daraus resultierende Notwendigkeit zur Lösung oder doch friedlichen Bewältigung sind im —> Tier- und —> Naturschutz häufig.

Bis zum Jahre 1955 gab es nur eine einzige deutschsprachige Monographie über den K., die 1879 erschienene Übersetzung des Buches von John Morley. Interessant ist auch die Feststellung von Theodor Wilhelm (1973), daß der K. in Deutschland unter neukantianischem Einfluß und „getragen von der Woge des offiziellen Idealismus des deutschen Kaiserreichs” (S. 34) grundsätzlich „als ehrenrührig galt. Wer K.e macht, ,kompromittiert’ sich” (S. 32). Vermutlich ist dieses Erbe der unbewußte Hintergrund des Vorurteils, daß jeder K., in dem nicht mehr gewonnen als verloren wird, ein „fauler” K. sei. Die englische Tradition des 19. Jahrhunderts ist in dieser Hinsicht viel pragmatischer, ohne deswegen schon macchiavellistische Züge anzunehmen, auch wenn Fairneß als anerkannte Norm mehr für das persönliche als für das politische Handeln Geltung hatte. Wilhelm weist in diesem Zusammenhang (S. 35) insbesondere auf John Dewey hin.

Das Schließen eines K. ist eine Form menschlichen Handelns und wie alles Handeln auch unter ethischem Aspekt zu verantworten. Diese Verantwortung betrifft den K. in methodischer und inhaltlicher Hinsicht; denn unabhängig vom Gegenstand der Vereinbarung muß der K. fair ausgehandelt werden. Der faire K. liegt nicht notwendigerweise in der rechnerischen Mitte zweier Standpunkte (sonst würde die einfache Erfolgsregel darin bestehen, jeweils das Doppelte vom eigentlich Angestrebten zu verlangen, wie es ja auch oft genug versucht wird), sondern im Ergebnis einer Abwägung der kontroversen Argumentation. Das ist auch der Grund dafür, daß man zur Erzielung von K.en so oft auf die Hilfe eines neutralen Vermittlers angewiesen ist. Sind die K.partner einigermaßen gleich stark, so dauert das Ringen oft lange, aber es bestehen gute Chancen für eine gerechte Lösung. Sind die Partner sehr ungleichwertig, so besteht Gefahr, daß der K. mehr auf Druck als auf Vereinbarung beruht. Solcher Druck ist unfair und mobilisiert beim unterlegenen Partner alle verfügbaren Kräfte zum Gegendruck. Wo diese Möglichkeit zum Gegendruck überhaupt nicht besteht, sind K.e nahezu unmöglich oder setzen beim überlegenen Partner ein ungewöhnlich hohes Maß an Entgegenkommen voraus. Wenn die zu überbrückende Kluft sehr tief ist und die Interessen sich diametral entgegengesetzt sind, sollte nur jeweils so viel vereinbart werden, wie jeder Partner akzeptieren kann. Darum ist der erste und einfachste K. oft nur eine Vereinbarung über die Begrenzung des an sich noch weiterbestehenden Konfliktes. Oft ist in dem eigentlichen Streitpunkt ein K. nicht möglich, weil z.B. ein Vorhaben in sich nicht reduziert werden kann. In einem solchen Falle muß oft der Ausweg einer Kompensation gewählt werden, d. h. der Partner, der nicht nachgeben will oder kann, muß seinem Kontrahenten in einem anderen, gleichrangigen Streitpunkt entgegen- kommen.

Der K. ist ein wichtiges Mittel zur Erzielung von Interessenausgleichen in der Demokratie; darum ist die Bereitschaft und Fähigkeit zum fairen K. eine wichtige demokratische Tugend. Die Humanisierung der Gesellschaft verlangt von der jeweiligen Mehrheit, ihre Macht nicht unbegrenzt auszuüben, sondern der Minderheit auf dem K.wege entgegenzukommen. Dabei sind allerdings nicht alle Vereinbarungsgegen- stände in gleicher Weise verfügbar; so darf z. B. Ungesetzliches oder Verfassungswidriges nicht zum Gegenstand eines K. gemacht werden; Gesetze und Verfassung sind an der Moral orientiert, —> Moral und Recht. Unzulässig wird der K., wenn er auf ethische Konflikte ausgedehnt werden soll, weil ethische Werte zwar gegeneinander abgewogen werden dürfen (—> Güterabwägung), aber nicht zum Objekt einer Vereinbarung gemacht werden dürfen: ethische Gebote und Verbote können nicht so gegeneinander abgewogen oder verrechnet werden, daß schließlich aus Bösem Gutes wird.

Weitere Literatur: K. Hilpert 1983, W. Jöhr 1958, N. Monzel 1959, E. Müller 1963, K. D. Osswald 1976, H. Ringeling 1982, H. Steubing 1955.

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