Mitgeschöpflichkeit

Mitgeschöpflichkeit ist ein von Fritz Blanke 1959 entwickelter tier- schutzethischer Ansatz, der vom Gedanken der gemeinsamen Geschöpflichkeit der Natur ausgeht. Der zugrunde liegende Begriff „Mitgeschöpf” ist ein Wort des späten 18. Jahrhunderts und insbesondere im —> Pietismus heimisch. Im Biberacher Gesangbuch von 1802 heißt es im Lied 851: „Wer stolz ein Mitgeschöpf verschmäht, das unter Gottes Aufsicht steht, entehrt auch seinen Schöpfer.” Den Begriff der M. hat erst Blanke geprägt, um die ethisch unvertretbare Reduktion der Menschlichkeit (—> Humanität)auf bloße Mitmenschlichkeit deutlich zu machen. M. bedeutet also die Wiedereröffnung eines zu eng gezogenen Kreises, die Einbettung der –> Nächstenliebe in den größeren Zusammenhang aller Geschöpfe. Blanke drückt es (1959, S. 198) so aus: „Alles, was da lebt, ist vom selben Schöpfergeiste durchwaltet. Wir sind, ob Mensch oder Nichtmensch, Glieder einer großen Familie. Diese Mitgeschöpflichkeit (als Gegenstück zur Mitmenschlichkeit) verpflichtet. Sie auferlegt uns Verantwortung für die anderen ‚Familienmitglieder’. Wir sollen uns teilnehmend um sie kümmern, uns ihnen in brüderlicher Gesinnung zuwenden.” Hier zeigt sich auch, wie eng die M. dem Gedanken der —> Brüderlichkeit verbunden ist. Nach Karl Barth (1970, S. 210) ist der Mensch ein „primus inter pares” seiner Mitgeschöpfe.

Die Ethik der M. beruht auf dem biblisch und dogmatisch unstrittigen Sachverhalt der gemeinsamen Geschöpflichkeit aller Lebewesen und hält sich insofern ohne jeden Überschwang an die Tradition der —> biblischen Tierschutzethik. M. ist ein theologisch wohlbegründetes und auch für die Kirchen akzeptables Konzept (—> Kirche und Tierschutz).

Blankes neue Denkrichtung blieb lange unbeachtet. Aber als dann später die Umweltkrise ins Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten war, und als Bernhard Stoeckle (1974, S. 834) die anthropozentrische Enge der zeitgenössischen Theologie nicht ohne Schärfe angegriffen hatte, bahnte sich eine neue Entwicklung an. Inzwischen ist der Wandel offenkundig. Begriff der M. (gelegentlich in der Variante der Mitkreatürlichkeit) hat weite Verbreitung gefunden und hat der Tierschutzethik wichtige Impulse gegeben.

So wie Menschlichkeit nicht nur der Beschreibung bestimmter Hand- lungsweisen dient, sondern zu solchem —> Handeln motivieren, ja sogar nötigen will, so appelliert auch M. an unsere Bereitschaft, Rücksicht zu nehmen und zu helfen, wo andere rücksichtslos waren. In diesem Sinne hat M. auch mit tätiger —> Barmherzigkeit zu tun.

In seinem Aufsatz beruft sich Blanke sowohl auf Franz von Assisis Brüderlichkeit wie auch auf Albert Schweitzers —> Ehrfurcht vor dem Leben. Er nennt aber auch noch einen weiteren, fast vergessenen Gewährsmann, den dänischen Bischof Hans Lassen Martensen (1808-1884), dessen „Christliche Ethik” (3. Aufl. 1866) ein eigenes Kapitel „Die Liebe zu der unpersönlichen Creatur” (S. 331-338) enthält.

Weitere Literatur: G. Altner 1974, S. 154-181, A. Köberle 1979, G. M. Teutsch 1977b und 1983b, S. 24f.

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