In den meisten Ländern der Erde bestehen heute Vorschriften, die vor der eigentlichen S. eine Betäubung verlangen. Verbesserungen sind aber nur dann feststellbar, wenn diese Vorschriften auch in befriedigender Weise beachtet werden.
I. In einem 1979 erschienenen Aufsatz zum Themenbereich —> Nutztierhaltung fragt der australische Ethologe Ron Kilgour: „Kann jedoch das S. als solches überhaupt mehr oder weniger ,human’ vor sich gehen? … Es ist eine Beleidigung der Würde des Menschen, das Wort ,human’ mit dem Wort ,Schlachtung’ auch nur in einem Atem zu nennen…” Sicher hat der Autor insofern recht, als die Praxis der Schlachthöfe auch in Mitteleuropa noch generell schlecht ist und den Anforderungen einer angst- und schmerzfreien Tötung im allgemeinen nicht gerecht wird. Das heißt jedoch keineswegs, daß es keine gelegentlich sogar wesentlichen Unterschiede gäbe (vgl. hierzu H.J. Weicherts Bericht über den Schlachthof in Helsinki, 1968) und vor allem nicht, daß eine schonendere Organisation des Gesamtablaufes unmöglich wäre. Aber auch bei der rationalisierten S. spielt die Wirtschaftlichkeit meist eine größere Rolle als der Tierschutz; mit anderen Worten: die Hektik und der Streß der vom fließbandähnlichen Betrieb gejagten Metzger geht in erster Linie zu Lasten der Tiere. Das gilt noch mehr für den Transport der Tiere (—> Tiertransporte), der Versorgung auf dem Schlachthofgelände und das Einschleusen der Tiere, die mit oft brutalen Mitteln erzwungen wird. Am Ende dieser Einschleusbahn erfolgt dann die Betäubung, und zwar bei Großtieren mit einem Bolzenschußgerät, sonst oft mit einer Elektrozange oder bei Kleintieren mit Schlaggeräten (vgl. Klaus Drawer und Klaus J. Ennulat 1977, S. 137). Nach der Betäubung werden die Tiere an den Hinterbeinen aufgehängt, und es fragt sich wirklich, ob nach dem Schlachtschnitt das tiefhängende Gehirn so schnell ausblutet, daß mit einiger Sicherheit keine Schmerzempfindung mehr möglich ist. Nikolaus Hablüzel hat die Schlachthofpraxis (1985) kritisch, aber im wesentlichen doch zutreffend beschrieben.
II. Vorschläge zur Verbesserung sind bei Albert Lorz (1974) nachzulesen und könnten im Rahmen der in den §§4, 4a und 4b der Tierschutznovelle von 1986 vorgesehenen Rechtsverordnungen zur S. berücksichtigt werden.
In der Schweiz wird die Betäubungspflicht gemäß Art. 20 des dortigen Gesetzes zwar streng gehandhabt und erlaubt auch keine rituelle S. (s. unten Ziff. IV). Sie gilt aber noch immer nicht für Geflügel, obwohl Christian Fricker bereits in seiner Dissertation (Zürich 1974) auf die mangelhafte Betäubung in den Schlachtereien hingewiesen hatte. Auch im deutschen Bundesgesundheitsamt wurde von Hans-Joachim Wormuth, Ingrid Schütt und Jürgen Fessel eine Untersuchung durchgeführt und (1981, S. 27) festgestellt, daß 60-70 % der Schlachthühner in nicht oder nicht genügend betäubtem Zustand in den Schlacht- und Brühstand rollen. Auf Verlangen des Bundesverbandes der Geflügelschlachtereien wurde dann eine weitere Untersuchung unter Praxisbedingungen durchgeführt, die jedoch zum gleichen Ergebnis kam: bei der üblichen Betäubung mit einer Stromspannung von 70 Volt und entsprechender Stromstärke wird keine tierschutzgerechte Betäubung erzielt, während bei ausreichender Betäubung mit 150 Volt und 120 mA etwa 90 % der Tiere schon vor dem vollständigen Ausbluten tot sind, wobei dann der Ausblutungszeitraum etwas länger dauert, aber nicht mit Qualitätseinbußen des Fleisches verbunden ist. Seither sind Verhandlungen im Gange, deren Ergebnisse ebenfalls in die vorgesehenen Rechtsverordnungen eingehen. Vgl. hierzu auch noch die Dissertation von Ingrid Schütt (1982). Für die Schweiz vgl. A. F. Goetschel (1986, 5. 153).
Der Bericht des Teams Wormuth, Schutt, Fessel enthält aber (S. 7) einen für alle S.verfahren wichtigen Hinweis: „Die Mehrzahl zurückliegender wissenschaftlich-experimenteller Untersuchungen zum Problem der Schlachttierbetäubung befaßt sich ausschließlich mit möglichen Auswirkungen verschiedener Betäubungsmethoden auf die Lebensmittel- und Fleischqualität, nicht jedoch mit der Effizienz der Betäubung im Hinblick auf den Tierschutz.” Hier wird in schockierender Weise deutlich, wie groß die Kluft zwischen dem ethischen Anspruch des Tierschutzes und der Wirklichkeit unseres Umgehens mit den Mitgeschöpfen ist. Ein gnädiger Tod wäre doch wohl das mindeste, was wir unse-ren Nutztieren schuldig sind!
III. Schätzungen über die Zahl der weltweit betroffenen Tiere sind unmöglich. In der Bundesrepublik Deutschland stieg der Pro-Kopf- Verbrauch an Fleisch von 64,4 kg im Jahre 1963/64 auf 89,2 kg im Jahre 1983/84 (Die Zeit 1985, Nr. 10). Dazu mußten nach Angabe von Werner Wilk (1984, 5.120) 340 Millionen Tiere (ohne Fische und Kleintiere) getötet werden. Inzwischen ist der Verbrauch weiter gestiegen.
IV. Das rituelle S. (Schächten) soll in der Bundesrepublik gemäß § 4a Abs. 2 als Ausnahme von der Betäubungspflicht zugelassen werden, soweit ein Inlandsbedarf besteht. Entsprechende Regelungen sollen gemäß Abs. 3 die Länder erlassen. Zwischen jüdischem und islamischem Schächten besteht insofern ein Unterschied, als das jüdische Schächten in allen Details geregelt ist, so daß Gewähr besteht, daß die Bewußtlosigkeit schon bald nach Durchtrennung der Halsschlagader eintritt. Trotzdem gibt es auch innerhalb der jüdischen Vorschriften noch weitere Möglichkeiten der schonenden Durchführung, wie etwa die Verwendung eines Umlegeapparates (vgl. Drawer/Ennulat1977, S.144). In Bezug auf das islamische Schächten scheint sich die Meinung durchzusetzen, daß die rituellen Vorschriften eine vorherige Betäubung nicht ausschließen; vgl. hierzu das Gutachten von Dr. Ali Emari (1985) sowie BGA-Pressedienst (Bundesgesundheitsamt Berlin) Nr. 1/1986.
In der Schweiz herrscht seit der Volksabstimmung von 1893 ein striktes Schächtverbot (vgl. Amalie Jenny 1940, S. 114), aber es darf geschächtetes Fleisch eingeführt werden. Auch in Schweden besteht ein solches Verbot, und die dort ansässigen Bürger jüdischen Glaubens haben sich mit einer vor dem Schächtschnitt erfolgenden Elektrobetäubung einver- standen erklärt (Drawer/Ennulat 1974, S. 146). Vgl. ferner Temple Grandin (1980).
V. In Ergänzung der Schlachtparagraphen der Tierschutzgesetze (deutsche Tierschutznovelle von 1986, §§ 4, 4a und 4b; schweizerisches Gesetz von 1978 Art. 20) gelten meist noch zusätzliche Verordnungen. Eine Europäische Konvention über den Schutz der Schlachttiere ist seit 1982 in Kraft und enthält Mindestanforderungen in Bezug auf Antransport (vgl. hierzu -> Tiertransporte), Unterbringung, Fesselung und Betäubung.
VI. Die Frage der ethischen Zulässigkeit der S. stellt sich auf zwei verschiedenen Ebenen: (1) ob der Mensch überhaupt das Recht hat, Tiere zu seiner Ernährung zu töten, wie dies in der ethischen Begründung des Vegetarismus entschieden verneint wird, oder (2) welche Schutzbestimmungen zugunsten der Tiere in Zusammenhang mit der S. zu beachten sind. Da die grundsätzliche Frage unter den Stichworten —> Lebenserhaltungsprinzip und —> Vegetarismus behandelt ist, genügt es, hier die zweite Frage zu beantworten. Und zwar kann es hier wohl nur eine einzige Antwort geben: Die Tötung anderer Lebewesen ist überhaupt nur dann zu entschuldigen (vgl. —> Rechtfertigung), wenn sie (1) angst- und schmerzfrei erfolgt, d. h. unter strikter Beachtung von Tötungsvorschriften, die gegenüber dem gegenwärtigen Stand noch erheblich verschärft werden müßten, (2) wenn sie vorher artgemäß gelebt haben, d. h. unter strikter Beachtung von Haltungsvorschriften, die gegenüber dem gegenwärtigen Stand noch erheblich verschärft werden müßten.
Ein gemäßigter —> Tierschützer muß nicht vegetarisch leben, sofern er ein Anhänger des —> Wohlbefindensprinzips ist. Aber er sollte auf alle Tierprodukte verzichten, deren Gewinnung mit —> Schmerzen oder —> Leiden verbunden waren.
Hinsichtlich des Schutzes der S.tiere steht der Tierschutz vor einer schwierigen Aufgabe. Wir haben uns offensichtlich mit dem jeweils herrschenden Zustand abgefunden oder haben ihn verdrängt. Das hat vermutlich noch psychologisch erklärbare Hintergründe, die uns keineswegs bewußt sein müssen. Aber es wäre doch möglich, daß sich die entschiedenen Tierschützer nicht genügend darum kümmern, weil sie für sich selbst längst die Konsequenz des Vegetarismus gezogen haben und sich nun in einer gewissen Arroganz des Nicht-betroffen-Seins weniger verantwortlich fühlen, während die anderen gewisse Hemmungen haben, überhaupt davon zu reden, weil man ihnen den Ausweg der vegetarischen Lebensweise empfehlen könnte, der nur dann ohne —> Konfliktemöglich ist, wenn sich alle Mitglieder einer Familie dazu entschließen, auch wenn es am Anfang nur „fleischfreie Tage” sind.
Weitere Literatur: K. Drawer 198o, K. Drawer und K.J. Ennulat 1974, S. 136-148.