Sprachregelung

Dieser Begriff ist zwar ziemlich neu, betrifft aber den alten und längst bekannten Sachverhalt der Sprachmanipulierung in der Absicht, bestehende Sachverhalte durch die Wahl der zur Beschreibung verwendeten Worte je nach Interessenlage entweder zu verharmlosen oder zu übertreiben, ethisch aufzuwerten oder zu kriminalisieren. Daß damit gegen die Wahrheitspflicht und insofern auch gegen die Regeln der —› Kommunikationsethik verstoßen wird, ist klar, aber diese bloße Feststellung ist ungenügend. Man muß wissen, was die S. für den Tierschutz bedeutet, damit man weder zum Opfer noch zum Täter werden, sondern dazu beitragen kann, durch Offenlegung die sowieso schwierige Diskussion zu erleichtern.

Wer sich wissenschaftlich mit dem Tier befaßt, stößt irgendwann auf das ihm ungeläufige Wort „tierlich” und überlegt, was diese Variante bedeutet und ob er das neue Wort verwenden oder beim traditionellen „tierisch” bleiben soll. Dabei fallen ihm vielleicht noch andere Worte ein, wie etwa „kindlich” und „kindisch” oder „weiblich” und „weibisch”. Wahrscheinlich war es Heini Hediger, der als erster die Eigenschaften der Tiere als „tierlich” bezeichnete und dafür dann viel später (1980, S. 323) folgende Begründung gegeben hat: „Der Ausdruck ‚tierisch’ bedeutet eigentlich eine Beleidigung für das Tier. Man sagt doch auch menschlich und pflanzlich, nicht menschisch und pflanzisch. Entsprechend muß es heißen „tierlich”. Deswegen habe ich diese Bezeichnung in allen meinen Büchern und Schriften angewandt, aber wenig Nachahmer gefunden. Die meisten Autoren wollen sich da keine Vor-chriften machen lassen — und vor allem könnte ja das Wort „tierlich” einen tierpsychologischen Beigeschmack haben. Das genügt schon bei vielen Autoren, bei „tierisch” zu bleiben.

Die Beleidigung, die darin enthalten ist, hängt damit zusammen, daß man sehr oft das Verhalten eines Menschen, der eine Untat begangen hat, als tierisch bezeichnet. Gemeint ist damit aber nicht ein tierliches, sondern ein unmenschliches Verhalten, meist ein Verbrechen, wie man es einem Tier niemals unterschieben darf, schon deswegen, weil Tiere grundsätzlich keine Verbrechen begehen können.” Die Einführung des Wortes „tierlich” war also eine S., um das abgewertete Tier wieder aufzuwerten.

Auf einen ähnlichen Sachverhalt weisen Gertrude und Thomas Sartory (1979, S.17) hin: „Die Bestie, wie nach dem Lateinischen das wilde, bedrohliche Tier genannt wird, ist niemals bestialisch, wenn sie ihren natürlichen Instinkten folgt, bestialisch aber wird der Mensch, wenn er, ,verwildert’, sich seinen entfesselten Trieben überläßt. Der Wolf in seiner eigenen Seele läßt ihn im Wolf das wölfische Ungeheuer sehen —> das Un-Tier, wie unsere Sprache in ihrer unnachahmlichen Weisheit uns in einem solchen Fall sagen läßt. Dem Un-Menschen wird das Tier zum Un-Tier: die dem Wesen von Mensch und Tier entsprechende natürliche Zuordnung beider zerbricht, die gottgewollte Beziehung zwischen Mensch und Tier wird zerstört.”

Schon Schopenhauer hat sich in seiner Untersuchung über „Die Grundlage der Moral” I, Kapitel 19, Ziffer 7 mit der sprachlichen Abwertung befaßt und festgestellt: „… entsprechend finden wir, auf dem populären Wege, die Eigenheit mancher Sprachen, namentlich der deutschen, daß sie für das Essen, Trinken, Schwangersein, Gebären, Sterben und den Leichnam der Tiere ganz eigene Worte haben, um nicht die gebrauchen zu müssen, welche jene Akte beim Menschen bezeichnen, und so unter der Diversität der Worte die vollkommene Identität der Sache zu verstecken…” Wer über einen Menschen etwas Schlechtes sagen will, der nennt ihn Bestie, Hund, Schwein oder macht ihn zum „schwarzen Schaf”, mit dessen Hilfe insbesondere die verschiedenen Standesorganisationen ihren guten Ruf (—> Schwarze-Schaf-Argument) verteidigen.

Wer Mensch und Tier gerecht werden will, muß den —› Gleichheitsgrundsatz anwenden, der verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ver- schieden zu bewerten und zu behandeln. Hier könnte man noch zufügen „zu benennen”, das ja auch eine Art des Bewertens ist. Mit anderen Worten, was zwischen Mensch und Tier gleich oder nahezu gleich ist, soll man auch mit gleichen Worten beschreiben, was aber verschieden ist, soll man auch entsprechend verschieden ausdrücken. So können sich z. B. Tiere zwar auf vielerlei Weise untereinander verständigen, aber eben nicht miteinander sprechen. Eine Hemmung, etwas als tierlich zu bezeichnen, besteht jedoch, wenn von „tierischen Produkten” oder ähnlichem die Rede ist.

S. wird aber auch in der polemischen Tierschutzdiskussion als „Waffe” eingesetzt. So bezeichnen extreme Gegner der —> Tierversuche das Tierexperiment immer noch als Vivisektion, obwohl die Zergliederung unbetäubter Tiere längst der Vergangenheit angehört, während die Gegenseite das Mitgefühl der —> Tierschützer oft noch als „Sentimentalität” bezeichnet; und was die einen als „Erkenntnisstreben” hochstilisieren, das werten die anderen als bloß „wissenschaftliche Neugier” wieder ab.

S. als begründete Korrektur bestehender Falschbezeichnungen ist sicher berechtigt und hilfreich. Aber jede andere Form der S. wird in dem Maße fragwürdig, wie sie sich vom wirklichen Sachverhalt entfernt und zur Täuschung benutzt wird.

Eine sublimere Form der S. ist am Text des deutschen Tierschutzgesetzes (–> Gesetzlicher Tierschutz) alter und neuer Fassung zu erkennen. Die einen sehen darin einen Katalog von zu vielen Verboten und Beschränkungen, die anderen eine viel zu lange Liste erlaubter —> Tierquälereien oder nur sprachlicher Kosmetik, wie in § 7 Abs. 4 der Novelle von 1986: „Tierversuche zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen, Munition und dazugehörigem Gerät sind verboten.” Erlaubt sind aber sicher Versuche, die dazu dienen, solchen Soldaten zu helfen, die Opfer neuartiger Waffen werden könnten; das Verbot hat also kaum eine praktische Bedeutung, wird aber immer wieder als Verbesserung des Gesetzes ausgegeben.

Michael W. Fox hat (1982) auf das Phänomen der verbalen Verharmlosung der —> Tierquälerei hingewiesen. Da wird die Jagd- oder Fangsaison für immer mehr Tiere als „Ernte” bezeichnet, und Massentierhaltung wird zur „Produktionseinheit”. Versuchstiere, die zugunsten des Menschen leiden und sterben müssen, werden „geopfert”; und dieser Sprachgebrauch ist nicht etwa nur gedankenlos, sondern der religiöse Hintergrund wird durchaus in Anspruch genommen, auch aus theologischer Sicht. Daneben nimmt sich der zum „Hendl-Vater” hochstilisierte Wienerwald-Manager nur geschmacklos aus.

Literatur: Im Text erwähnt.

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