Tierliebe

Tierliebe ist eine meist als fragwürdig oder zumindest als schrullig dargestellte Eigenschaft, die insbesondere von Deutschen beansprucht und die ihnen in dieser eingeschränkten Weise auch bereitwillig zugestanden wird. Man muß sie im Zusammenhang mit dem Stand der —> öffentlichen Meinungund der Haltung von –> Heim- und Hobbytierensehen. Außerdem läßt sie sich auch am Selbstverständnis und gemachten Bild der —> Tierschützer ablesen. In der wissenschaftlichen Literatur wird das Thema T. kaum behandelt; um so häufiger greift man auf die Untersuchung von Peter Baumann und Ortwin Fink „Wie tierlieb sind die Deutschen?” (1979) zurück. Die Lektüre ist jedoch durchweg beklemmend, auch wenn manche Passagen als didaktische Pointierung erkennbar sind.

Wenn T. eine —> Einstellung ist, die auf einer Liebe zum Tier um des Tieres willen, also einer selbstlosen Liebe zu allen Tieren ohne Ansehen ihrer Art beruht, dann ist T. ziemlich selten. Die Mehrzahl der Tierfreunde sind Freunde einer bestimmten Art, d. h. die T. schrumpft bei näherem Hinsehen zur Hunde- oder Katzenliebe, die deswegen nicht schlecht gemacht werden soll, aber dem Anspruch der T. nicht genügt. Auch wer seine eigenen Kinder liebt, ist deswegen noch kein Men- schenfreund. Nicht selten sind Hundefreunde gleichzeitig Katzenfeinde und umgekehrt; auch Vogelfreunde sind aus verständlichen Gründen auf Katzen nicht gut zu sprechen. Alles in allem: Tierfreunden und —> Tierschützern fehlt es oft an der nötigen Kohärenz ihrer Einstellung.

Das läßt Rückschlüsse auf die Motivation der Tierfreunde zu, die aus mehreren Quellen gespeist wird. Baumann und Fink erwähnen (S. 21-24) verschiedene Verhaltensdispositionen und berufen sich dabei auf Konrad Lorenz, der annimmt, daß es beim Menschen eine angeborene Zuwendungsreaktion gibt, die beim Anblick aller Wesen ausgelöst wird, die in ihrer Erscheinung an Kleinkinder erinnern (Kindchenschema), und auf H. Hediger, der meint, daß der Mensch eine Affinität zu Tieren habe, die in menschenähnlicher Weise aufrecht gehen wie Pinguine oder sich auf den Hinterbeinen aufrichten („Männchen machen”) können. Zu diesen zuwendungsauslösenden Reizen gehört sicher noch das zarte Fell- oder Federkleid vieler Tiere, das die Reaktion des Streicheln-Wollens geradezu hervorruft. Aber gleichgültig, was es mit solchen Formen angeborener T. auf sich hat, sie sind auf ganz bestimmte Merkmale begrenzt und haben jedenfalls nichts mit -> Tierschutzethik zu tun.

Voraussetzung einer umfassenden T. ist sicher die bei Mensch und Tier ähnliche Gefühlsausstattung —> Emotionalität, die es den Wirbeltieren, mindestens aber den Säugetieren ermöglicht, auf die gefühlsmäßige Zuwendung des Menschen in emotional bestimmter Weise zu reagieren. Zu Nicht-Wirbeltieren kann der Mensch wahrscheinlich nur einseitige Beziehungen aufnehmen, die jedoch keineswegs belanglos sein müssen. Unter extremen Bedingungen kann das bescheidenste Lebewesen zum Partner oder doch zum Symbol eines Partners werden.

Auf dem Hintergrund der Emotionsfähigkeit der Säugetiere spielen für die T. auch andere Motivationen ein Rolle, etwa wenn Kinder sich ein Tier wünschen ( —› Kinder und Tiere), wenn man sich einsam fühlt oder weil man (so Baumann und Fink S. 137) in der denaturierten und von Konkurrenzkämpfen beherrschten Welt „eine emotionale Entlastung in der Liebe und Gegenliebe zu finden” hofft. Auch zwischenmenschliche Enttäuschung und Verbitterung kann den Menschen an das Tier verweisen. Das Fazit von Baumann und Fink fällt (S. 24) entsprechend aus: „Machen wir uns nichts vor, mit selbstloser Zuneigung zur hilflosen Kreatur hat unsere vermeintliche Tierliebe höchst wenig zu tun.” Wenn dann noch menschlicher Egoismus und mangelnde Einsicht in die artspezifischen Bedürfnisse der Tiere in die Beziehung und Haltung miteinfließen, kann diese T. durchaus tierquälerische Folgen haben, etwa für einen Wellensittich, der — obwohl Gruppentier — bewußt einzeln gehalten wird, damit er in seiner Isolierung um so mehr auf seinen Partner angewiesen ist. Mit anderen Worten, die Tiere werden so gehalten, daß man möglichst viel von ihnen hat, was die Tiere an uns haben, ist eine ganz andere Frage. So wird unsere T. in hohem Maße von Selbstliebe bestimmt. Daß diese Art von T. dann auch auf manche Verbände und Publikationen durchschlägt, kann niemand wundern.

Daß es bei dieser negativ beurteilten sogenannten T. auch eine uneingeschränkt positiv zu bewertende Liebe zu den Mitgeschöpfen gibt, ist unbestritten und um so unanfechtbarer, je selbstloser sie sich als praktische –> Humanität und Solidarität bewährt.

Literatur: Im Text erwähnt.

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