Qualzucht bei Hunden

Der Mensch hat durch gezielte Zucht hunderte verschiedener Hunderassen gezüchtet. Über 390 verschiedene Rassen sind vom größten kynologischen Weltdachverband bislang anerkannt.

Der Zuchtstandard vieler Rassen konnte sich zu Ungunsten der Hunde ändern, als sie vom ‚Gebrauchshund‘ zu Mode- und Statussymbolen wurden. Merkmale, die eine Rasse auszeichneten und ihre Funktionalität und auch Fitness sicherstellten, konnten nun ins Extrem gezüchtet oder für ein neues Schönheitsideal verändert werden. Ein Beispiel dafür ist die Englische Bulldogge, die nach Verbot der Hundekämpfe bereits 1865 einen Rassestandard erhielt. Dies kann als Beginn der modernen Hundezucht gesehen werden.

Möpse in Brehms Tierleben, 1927 (G. )

Der Rassestandard, den Zuchtverbände seitdem für die von ihnen betreuten Rassen aufstellen ist Modetrends unterworfen und daher veränderlich. So kommt es, dass ein Hund auf einem alten Gemälde oder Foto zwar definitiv ein Vertreter der heutigen Rasse ist, aber sich deutlich vom heutigen Idealbild seiner Rasse unterscheidet. Ein Beispiel ist der Mops, der in der Illustration von 1927 in Brehms Tierleben noch einen langen Kopf mit deutlicher Schnauze besitzt.

Heute gehört der Mops auf Grund der angezüchteten extremen rund-/kurzköpfigkeit (Brachyzephalie) zu den bekanntesten Rassen mit Qualzucht. Zu den brachyzephalen Rassen zählt unter anderem auch die englische und die französische Bulldogge, der Boxer und der King Charles Spaniel. Bei all diesen Rassen ist der Trend nach noch kürzeren Schnauzen und noch runderen Köpfen verbunden mit einer langen Reihe von Merkmalen, die zu Einschränkungen der Lebensqualität des betroffenen Tieres und zu Qualen führen.

Mops an Hundeleine
Mops heute

Auch bei vielen anderen Hunderassen treten Körpermerkmale im Rassestandard auf, die als Merkmal an sich oder in Überzüchtung zu permanentem Einschränkungen und Leid führen müssen. Die Rassestandards werden von den Zuchtverbänden festgelegt. Im Jahr 2008 wurde auf BBC One der Dokumentarfilm “Pedigree dogs exposed” zur Qualzucht bei Hunden und zur Rolle des britischen kynologischen Dachverbands The Kennel Club (KC) dabei ausgestrahlt. Eine Sendung zum Thema mit dem Titel “Das Geschäft mit der Hundezucht – Viel Rasse, Wenig Klasse” wurde 2011 im WDR gesendet. Der britische Kennel Club tat sich schwer mit der in der Dokumentation ausgesprochenen Kritik, kündigte aber eine Überprüfung der Standards aller durch ihn betreuten Rassen im Hinblick auf gesundheitliche Fragen an und veränderte den Standard zum Beispiel für die Englische Bulldogge. Dieser Standard wurde 2010 von der Fédération Cynologique Internationale (FCI), dem größten internationalen kynologischen Dachverband übernommen. Trotzdem wird mit dieser Rasse weiterhin Qualzucht betrieben. Bei anderen Rassen wurde noch keine Veränderung des Rassestandards vorgenommen.

Das Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen) (BMEL 1999) listet weit über 10 Merkmale auf, die bei mehr als 30 Hunderassen zu finden sind und deren Zucht mit diesen Merkmalen ein Zuchtverbot bei Verstoß nach § 11b des Tierschutzgesetzes bedeuten muss.

Die Beschreibung einiger Merkmale, des Vorkommens und der damit verbundenen und tierschutzrelevanten Symptome sind dem Gutachten entnommen und unten verkürzt und auch verändert wiedergegeben (Literatur dort zitiert). Die Vollständige Liste ist im Gutachten zu finden.

Liste einiger Qualzuchtmerkmale bei Hunderrassen

Blue-dog-Syndrom (Blauer-Dobermann-Syndrom, CDA)

Es handelt sich um eine blaugraue Farbaufhellung mit Disposition zu Alopezie (partieller Haarausfall) und Hautentzündung. Die Krankheit gehört in die Gruppe der Pigmentmangel-Syndrome.

Vorkommen: Sporadisch und familiär gehäuft besonders beim Dobermann aber auch in anderen Rassen wie Dogge, Greyhound, Irish Setter, Pudel, Dackel und Yorkshire Terrier. Das Merkmal ist komplex in den Symptomen. Durch eine gestörte Verhornung des Haarfollikel-Epithels kommt es zu Haarausfall (Tiere sehen wie „mottenzerfressen“ aus) und diversen Entzündungserscheinungen. Weiterhin kann es zu Veränderungen im Lymphsystem, zu Ödemen sowie Fehlbildungen der Nebennieren mit Immunkomplexstörung.

Empfehlung: Zuchtverbot für Tiere mit blaugrauer Farbaufhellung.

Brachy- und Anurien sowie Verkrüppelung der Schwanzwirbelsäule

Unterschiedlich ausgeprägte Verkürzungen der Schwanzwirbelsäule bis zur Stummelschwänzigkeit, mit oder ohne Verkrüppelung des Schwanzes (Korkenzieherschwanz, Knickschwanz).

Vorkommen: Knick- und Korkenzieherschwanz treten sporadisch oder familiär gehäuft bei Franz.-Bulldogge, Engl.-Bulldog, Mops, Dackel u. a. auf, Stummelschwänze bei Bobtail, Cocker Spaniel, Entlebucher Sennenhund, Rottweiler u. a.. Knick- und Korkenzieherschwänze, aber auch Verkürzungen der Schwanzwirbelsäule – insbesondere Anurie – sind häufig vergesellschaftet mit Missbildungen an weiteren Abschnitten der Wirbelsäule (Block-, Schmetterlings- und Keilwirbelbildungen) bis hin zu Spina bifida. Die Folge können Rückenmarksbeeinträchtigungen mit Störungen der Lokomotion der Hintergliedmaßen bis zu Paralysen sowie Harn- und Kot-Inkontinenz sein.

Empfehlung: Zuchtverbot für Tiere, die neben Knick- und Korkenzieherschwanz bzw. Brachy- oder Anurie auch Wirbeldefekte an weiteren Abschnitten der Wirbelsäule aufweisen, weil bei den Nachkommen mit Schmerzen und Leiden gerechnet werden muss. Verzicht auf Korkenzieherrute im Rassestandard.

Chondrodysplasie

Zwergwuchs beim Basset Hound.

Zwergwuchs mit Verkürzung der langen Röhrenknochen (oft auch der Gesichtsknochen) durch Störung der Knochenbildung mit vorzeitigem Wachstumsstillstand in den Epiphysenfugen, für den möglicherweise eine hormonelle Fehlsteuerung ursächlich ist, die sich auf den Ca- und P-Stoffwechsel auswirkt.

Vorkommen: Vor allem kleinwüchsige Rassen: Basset Hound, Franz.-Bulldogge, Pekinese, Scottish Terrier, Sealyham Terrier, Dackel, Welsh Corgis u. a.. Chondrodysplastische Rassen (insbesondere Dackel) zeigen eine starke Disposition zu frühzeitigen Fehlbildungen im Bereich der Bandscheiben, was zum Bandscheibenvorfall führen kann. Das kann zu Lähmungen und Schmerzempfindlichkeit führen, häufig verbunden mit Komplikationen der Darmfunktionen. Viele chondrodysplastische Rassen zeigen außerdem eine ausgeprägte Brachyzephalie mit den damit verbundenen Defekten (Brachyzephalie s.u.).

Empfehlung: Tiere mit sehr langem und geradem Rücken und ausgeprägter Kurzbeinigkeit neigen besonders zum Bandscheibenschaden. Eine Zucht gegen diese Merkmalsausprägung ist daher anzustreben, um einer Übertypisierung entgegenzuwirken.

Dermoid / Dermoidzysten

Hauteinstülpungen am Rücken, nach außen geöffnet oder geschlossen, die bis in den Wirbelkanal hineinreichen können.

Vorkommen: Rhodesian Ridgeback. Die Dermoide und -zysten treten am Rücken vor und hinter dem „Ridge“ (Haarstrich mit gegenläufigem Wuchs) auf. Sie entwickeln sich embryonal aus einer unvollkommenen oder ausbleibenden Trennung von Haut und Rückenmark. Lähmungen der Hinterhand und Überempfindlichkeiten und Entzündungen im Zentralen Nervensystem treten auf.

Empfehlung: Zuchtverbot für Tiere, die mit Dermoidzysten behaftet sind, weil bei den Nachkommen mit Schmerzen und Leiden gerechnet werden muss.

Haarlosigkeit (Nackt)

Haarlose Defektmutante.

Vorkommen: In Nackthundrassen unterschiedlicher Herkunft (Chinesischer Nackthund, Mexikanischer Nackthund etc.).  Nackthunde sind für das Nacktgen heterozygot. Für das Nacktgen homozygote Tiere sind nicht lebensfähig und sterben kurz vor oder nach der Geburt. Heterozygote zeigen regelmäßig schwerwiegende Gebissanomalien: Meist fehlen die Prämolaren, häufig auch Canini oder Incisivi. Weiterhin weisen sie eine gewisse Immundefizienz auf. Die Hunde haben eine sehr empfindliche Haut (Sonnenbrand, Verletzungen, Fliegenbefall im Sommer, Allergien) und zeigen klimatische Adaptationsstörungen.

Empfehlung: Zuchtverbot für alle Defektgenträger.

Brachyzephalie / Brachygnathie

Breite, runde Ausformung des Schädels bis hin zum Rundkopf und Verkürzung der Kiefer- und Nasenknochen.

Vorkommen: Boxer, Englische Bulldogs, Chihuahua, Mops, Pekinese, Prince Charles Spaniel, Shi Tzu, Toy-Spaniel, Yorkshire Terrier u. a..

Das Merkmal kann zu vielen Schäden führen. Unter vielen anderen: Schwergeburten (Kaiserschnitt nötig), verzwergte Rassen neigen zu Gehirntumoren und Hydrocephalus; Atembeschwerden, Störung der Thermoregulation (Tiere sind hitzschlaggefährdet), Schluckbeschwerden. Wenn die Augen hervortreten (z. B. Chihuahua, Mops) Verletzungsgefahr, Augäpfel fallen aus der Augenhöhle, ausgeprägter Vorbiss mit ungenügender Gebissfunktion.

Empfehlung: Extreme Rundköpfigkeit, insbesondere disproportionierte Verkürzung der Gesichtsknochen muss aus der Zucht ausgeschlossen werden. Zuchtverbot für Tiere, die den vom Zuchtverband festzulegenden Grenzwert überschreiten.

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Literatur

BMEL (1999): Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen).

Brehm, A. (1927): Brehms Tierleben, Small Edition.

Oechtering, G. (2010): Das Brachyzephalensyndrom – Neue Informationen zu einer alten ErbkrankheitVol 20 No 2 / / Veterinary Focus.

Oechtering, G. (2013): Wenn Menschen Tiere verformen- Ein Ruf nach mehr Qualitätskontrolle in der Hundezucht. Deutsches Tierärzteblatt 1/ S. 18-23).

http://www.thekennelclub.org.uk/media/16342/british%20bulldog.pdf

Evans, K. & Adams, V. (2010): Proportion of litters of purebred dogs born by caesarean section.The Journal of small animal practice, 51(2): 113–118.doi:10.1111/j.1748-5827.2009.00902.x.PMID20136998)

Kennel Club/ British Small Animal Veterinary Association Scientific Committee (2004):  2004 Purebred Dog Health Survey. Report from the Kennel Club/British Small Animal Veterinary Association.

Pedersen, N.C., Poosch, A.S. & Hongwei Liu (2016):  A genetic assessment of the English bulldog. Canine Genetics and Epidemiology 3:6.

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