Das Elend der Mastputen

17. Mai 2017

Das Elend der Mastpute – ein Tier am Rande seiner biologischen Leistungsgrenze

Puten sind die domestizierte Form der Art Truthuhn (Meleagris gallopavo). Es sind große, lauffreudige und flugfähige Hühnervögel mit langen starken Beinen und kurzen, aber kräftigen Flügeln. Mit diesen Körpermerkmalen hat die Natur sie ausgestattet, um erfolgreich in ihrer ökologischen Nische als bodenlebende Omnivoren (pflanzliche und tierische Kost) in den Steppen und lichten Wäldern Amerikas überleben zu können. Es sind ausdauernde Läufer und sie können sich sowohl laufend als auch fliegend neue Nahrungsreviere erschließen und ihren Feinden entkommen. Für den sicheren Schutz vor Beutegreifern in der Nacht, fliegen Truthühner hoch in die Bäume.

Grimmig schauende Pute vor blauem Himmel.
Kaum eine Pute bekommt in ihrem Leben den blauen Himmel zu sehen. – Foto: reichdernatur, Adobe Stock

Das Fleisch der Truthühner hat in den letzten Jahrzehnten einen großen Marktanteil der Geflügelfleischproduktion erobert. Damit der Markt bedient werden kann, wurde aus dem aktiven, neugierigen und robustem Hühnervogel ein Tier geschaffen, das innerhalb von wenigen Lebensmonaten das zwei- bis dreifache des Gewichts eines ursprünglichen Truthahns zunehmen kann. Putenhähne erreichen heute ein Gewicht von 22-25 kg in 5-6 Monaten, Hennen 13-14 kg in 5 Monaten (Hörning, 2013). Ausgehend von einem Kükengewicht von etwa 50 g ergibt das bei Hähnen eine Steigerung des Gewichts um den Faktor 400 in weniger als einem halben Jahr! Bis zu 40 Prozent des Körpergewichts aber kann alleine der vom Konsumenten begehrte Brustmuskel einnehmen (Petermann 2006). Die moderne Truthahnlinie, die zu dieser Leistung im Stande ist, trägt keine Rassenbezeichnung, sondern wird als BIG 6 bezeichnet.

Die Fähigkeit zu dieser rasanten Gewichtszunahme ist das Resultat einer gezielten Erbgutvermischung, einer Hybridisierung von mehreren Linien der Putenzucht mit dem Ziel der guten Futterverwertung, hohem Lebendgewicht und besonders breitem und großem Brustmuskel. Daraus entstehen eine Reihe von gesundheitlichen Problemen, denn alles was dieser Vogel braucht an Knochen- und Organgesundheit, Robustizität und der Fähigkeit, sich selbst intakt und gesund zu erhalten ist in diesen Zuchtlinien nicht berücksichtigt worden (Krankheiten der Pute, s.u.).

Die Haltung der schweren Tiere in Ställen mit hohem Besatz beschleunigt und intensiviert zudem das Auftreten von gesundheitlichen Schäden bei den Tieren. 2013 wurden vom Verband deutscher Putenerzeuger ‚Bundeseinheitliche Eckwerte für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen‘ formuliert. Hierin werden auch die Grenzen der Besatzdichte in der Putenmast festgelegt. Bei Putenhennen betragen diese Grenzen in der Endmastphase 45 kg und bei Putenhähnen 50 kg Lebendgewicht pro m² nutzbarer Stallgrundfläche. Das entspricht etwa 3 Hähnen und 5 Hennen pro m². Unter bestimmten Bedingungen  kann der Besatz sogar auf 52 bzw. 58 kg pro m² erhöht werden (VDP: Punkt 7 Gesundheitskontrollprogramm, Seite 10)! In dieser hohen Dichte können die Tiere sich nicht mehr frei bewegen, stören sich gegenseitig beim Ruhen, bei der Gefiederpflege und anderem Komfortverhalten und können soziale Mindestabstände nicht einhalten (Buchwalder & Huber-Eicher, 2005). Solch hohe Besatzdichten führen zwangsläufig zu Verhaltensstörungen und verstärken die gesundheitlichen Probleme der Tiere. Es ist zudem bekannt, dass Puten bezüglich Umwelt und Haltungsmanagement die höchsten Anforderungen im Vergleich zu den anderen Mastgeflügelarten stellen (DLG, 1995/2000). Die Mortalitätsrate der ursprünglich eingestallten Masttiere liegt etwa um 10 Prozent (British United Turkey, 2008) und damit bis zu 4 mal so hoch wie in einem Masthähnchendurchgang (Wolf-Reuter, 2004).

Das Elend der Mastpute wurde von der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsgruppe Putenhaltung (Anonym, 1997) so zusammengefasst: „Die in Niedersachsen fast ausschließlich eingesetzte Linie BIG 6, die auf hohe Lebendmassezunahme innerhalb kurzer Zeit gezüchtet wurde, stellt ein äußerst empfindliches System dicht an seiner biologischen Leistungsgrenze dar. Bereits kleinste Fehler im Management haben massive Schäden am Tier zur Folge“.

Die ‚Zerlegepute‘ – eine Qualzucht

Die modernen Mastputen sind das Ergebnis einer Drei-Linien-Kreuzung: einer schweren und fleischbringenden Hahnenlinie, einer Hennenlinie mit guten Reproduktionseigenschaften und einer Hennenlinie, die auf Fleischertrag ausgelegt ist (Hafez, 1997). Die Vermehrung erfolgt ausschließlich durch künstliche Besamung, denn die schweren breitbrüstigen Tiere sind nicht mehr in der Lage, sich auf natürliche Weise fortzupflanzen (Petermann 2006). Derzeit existieren die drei Zuchtunternehmen: „British United Turkeys (B.U.T.)“, „Hybrid Turkeys“ und „Nicholas Turkey Breeding Farms“ (N.T.B.F., Schottland/USA), die alle seit dem Jahr 2005 unter der Dachorganisation „Aviagen-Turkeys“ vereint sind (Meyer, 2007). In Deutschland werden jährlich zwischen 37 und 38 Millionen Mastputen gehalten (Berk & Bartels 2014). Die schwere weiße Masthybridpute BIG 6 der Zuchtorganisation B.U.T. hat hier einen Marktanteil von 95–97 % in der deutschen Putenfleischerzeugung (Hafez, 1996). Gemästet werden die schweren Linien mit dem Ziel, Teilstücke des Schlachtkörpers zu vermarkten. Daher der Name ‚Zerlegepute‘ oder auch ‚Verarbeitungspute‘. Da die Teilstückvermarktung vor allem in Deutschland üblich ist, werden bei uns weltweit die schwersten Puten gemästet (Petermann, 2006, Richter, 2006).

Das Zuchtziel besteht seit Jahrzehnten in der maximalen Ausschöpfung des genetischen Wachstumspotenzials. Die extreme Selektion auf Fleischfülle aber ist verbunden mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit, besonders des Skelett- und des Herz-Kreislaufsystems (Hafez, 1996). Damit gehen Verhaltensänderungen im Lokomotions- und Komfortverhalten einher, die, da sie nicht mehr arttypisch ausgeführt werden können, zu weiterem Leid beim Tier führen. Die bei der Mastpute leistungsbedingt auftretende Krankheiten und Syndrome erfüllen daher die Voraussetzungen einer Qualzucht nach §11b des Tierschutzgesetzes (Demmler, 2011). Nach Demmler (2011) müssen Züchter und Zuchtbetriebe, bei denen die jeweiligen Krankheiten auftreten, in den Verdacht geraten, gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen.

Der Wortlaut § 11b des Tierschutzgesetzes (28.07.2014):

(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch biotechnische Maßnahmen zu verändern, soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse oder im Falle der Veränderung Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung

  1. bei der Nachzucht, den biotechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder
  2. bei den Nachkommen
  3. a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
  4. b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
  5. c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.

Im Anhang der Richtlinien 98/58/EG v. 20.7.1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere (Nr.21, EU-Nutztierhaltungsrichtlinie, ABI, EG Nr. L 221, S. 23) steht der Satz „ Tiere dürfen nur zu landwirtschaftlichen Nutzzwecken gehalten werden, wenn aufgrund ihres Genotyps oder Phänotyps berechtigtermaßen davon ausgegangen werden kann, dass die Haltung ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen nicht beeinträchtigt. Da dies bei Mastputen, zumindest bei der Puten des Typs B.U.T. 6 aber der Fall ist, müsste ihre Haltung in Deutschland verboten werden (Hirt, Maisack und Moritz, 2016).

Krankheiten der Pute

Die in der intensiven Mast verwendeten Puten sind auf Grund ihrer angezüchteten raschen Gewichtszunahme und der hohen Besatzdichte in den Mastställen anfällig für eine Reihe von Krankheiten, Infektionen und Verletzungen. Managementfehler bei der Lüftung, Auswahl und Pflege des Bodenbelags, der Stallstrukturierung und auch der Futterzusammensetzung verstärken die Probleme. Schmerzen, Leiden und Tod sind die Folgen für die Tiere.                     Es ist ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, verletzte und leidende Tiere ohne medizinische Versorgung im Maststall zu lassen.

Das Elend der Mastpute endet bereits nach wenigen Monaten der Mast beim Schlachter. Aber nicht das der Elterntiere, denn sie werden in den Zuchtbetrieben für weit längere Zeit gehalten. Die Zuchttiere sind daher besonders betroffen, denn die leistungszuchtbedingten Krankheiten verschlimmern sich mit zunehmendem Alter und Gewicht.

Mastputen leiden und sterben an:

-Erkrankungen des Skeletts, vor allem der Beine, Gelenke und Bänder

-Entzündungen und Geschwüre an den Ballen der Füße

-Geschwüre und Nekrosen am Brustmuskel

-Herz- Kreislauferkrankungen

-Erkrankungen der Atemwege,

-Verletzungen der Artgenossen durch Picken

-Kannibalismus

Veränderungen am Skelett der Extremitäten

Ständer und Füße sowie Gelenke und Bänder sind durch das schnelle Wachstum und das hohe Gewicht biomechanisch und in der Reife des Gewebes überfordert. Dadurch entstehende Schäden beeinträchtigen die Fortbewegung, das Stehen und Laufen und führen durch Bewegungsunwillen oder -einschränkung zu weiteren Schäden. Hauptverantwortlich für eine Reihe solcher Beinschäden, auch allgemein unter ‚Beinschwäche‘ zusammengefasster Leiden, ist das schnelle Wachstum, sowie die Größe und das Gewicht des Brustmuskels.

Tibiale Dyschondroplasie: Die Tibiale Dyschondroplasie (TD) ist eine genetisch verankerte Entwicklungsstörung der Skelettreifung, stellt eine der wichtigsten Erkrankungen im Komplex des Beinschwäche-Syndroms beim Mastgeflügel dar und ist mit Schmerzen verbunden. Daran leiden in den schweren Linien nahezu 100% der Tiere (Demmler, 2011).

Schiefstellung der Beine: X- und O-Beinigkeit oder eine extreme Breitstellung der Beine sind Fehlstellungen, die durch die schiere Größe des Brustmuskels, der Verlagerung des Schwerpunktes (Abourachid 1993) und der Körperachse von einer vertikalen in eine beinahe horizontale Position entstehen. Der schwere Vogel muss mehr Brustfleisch zwischen den Beinen tragen, was zu einem Auseinanderweichen der Beine und dadurch zu der Fehlstellungen führt (Marini 2003). Solche Beinstellungen treten vor allem bei den Hähnen im letzten Drittel der Mast auf.

Knochenbrüche: Bei schweren Hähnen kann es auch zu Brüchen, z.B. des Oberschenkelknochens kommen (Julian & Gazdzinsky 2000). Als mögliche Ursache werden auch hier besonders das schnelle Wachstum mit einer ungenügenden Mineralisation der Knochen, sowie entzündliche Veränderungen am Knochengewebe angenommen (Spindler 2007).

Schäden an Füßen und Zehen

Plantare Pododermatitis: An den Ballen der Füße und Zehe der Puten lassen sich ebenfalls schmerzhafte Veränderungen ausmachen, die zu nekrotischen Veränderung der Epidermis führt können. In schweren Fällen kommt es zu Geschwürbildungen, die nur unter Narbenbildung ausheilen. Die sogenannte plantare Pododermatitis kann sehr schmerzvoll sein und zu einer Abnahme der Bewegungsaktivität führen (vgl. Miriam Rudolf, 2008). Eine vom Institut für Lebensmittelhygiene der Universität Leipzig in Deutschland durchgeführte Untersuchung von Mastputen nach der Schlachtung (Krautwald- Junghanns et al. 2009) zeigte, dass nahezu 100 % der geschlachteten Puten eine mehr oder weniger starke Pododermatitis aufwiesen. Nur 2,03 % der Hähne und nur 0,6 % der Hennen besaßen gesunde Fußballen. Verantwortlich für die Pododermatitis sind die Einstreuqualität und dabei vor allem der Feuchtigkeitsgehalt des Untergrunds. Qualität und Quantität der verwendeten Streu nebst ihrer Fähigkeit der Feuchtigkeitsspeicherung sind wichtige Parameter (Miriam Rudolf 2008). Daher müssen Veränderungen an den Fußballen als haltungsbedingte Schäden gelten, deren gehäuftes Auftreten auf schlechtes Management hinweisen (Petermann, 2006). Da die Feuchtigkeit der Streu mit der Menge an anfallendem Kot zunimmt, ist auch ein Bezug zur Besatzdichte logisch.

Alle Schäden an Beinen, Füßen und Gelenken führen zu verminderter Bewegungslust oder -fähigkeit. Das wiederum schlägt sich im Ruhe- und Komfortverhalten nieder. Schwere Vögel ruhen mehr als zwei Drittel der Tageszeit (Hörning 2013) und sind nicht mehr im Stande, höher gelegene Schlafplätze aufzusuchen. Das Gefieder verschmutzt zunehmend, weil durch Gewicht und veränderte Körperform keine ausreichende Gefiederpflege mehr möglich ist (Petermann 2006).

Erkrankungen des Brustmuskels und der Haut

Myopathie der tiefen Brustmuskulatur : Im Brustmuskel befinden sich tiefergelegene Muskelbereiche (das ‚Filet‘), die bei Mastputen aus Linien mit Überbetonung der Brustmuskulatur durch angezüchtete mangelnde Durchblutung degenerieren und Nekrosen ausbilden können. Die Deep Pectoral Myopathie  (DPM) ist vermutlich sehr schmerzhaft. Da sie beim Tier durch heftiges Flügelschlagen ausgelöst werden kann, wird ein sachgerechter, schonender Umgang mit den Tieren gefordert (Demmler 2011).

Brustblasen und Brustknöpfchen: Wenn die Puten zum Ende der Mast hin häufiger liegen bzw. sitzen, kommt ihre Brust auch länger mit dem Untergrund in Kontakt. Den Kontakt der Brusthaut mit dem Stallboden kann das Federkleid nicht mehr verhindern, denn die Anzahl und Größe der Federn ist züchterisch nicht vergrößert worden, wohl aber die Brustfläche, die sie bedecken können sollten. Zwischen den spärlichen Federn verbleiben daher große Lücken nackter Haut, die direkt dem feuchtem und verkotetem Untergrund aufliegt (Petermann 2006). Wie bei den Fußballen führt auch hier die Qualität der Streu, ihre Feuchte und der ätzende Ammoniakgehalt durch den Kot zu Schäden an der Haut. Es entstehen Druckstellen und Entzündungsherde, sogenannte Brustblasen (eine Vergrößerung oder Entzündung der Bursa praesternalis) und Brustknöpfchen (Fokale Ulzerative Dermatitis bzw. Breast Buttons) (Petermann 2006).                       In einer vergleichenden Studie zur Gesundheit von Mastputen, stellte (Bergmann 2006) nach 22 Lebenswochen bei 46,4 % aller untersuchter B.U.T. Big 6 Puten „Brustknöpfchen und bei durchschnittlich 35,7 % der Tiere Brustblasen fest.

Herz-Kreislauferkrankungen

Herzschäden: Das Herz der Mastpute kann bei dem rasanten Wachstum des Körpers nicht mithalten und bleibt, verglichen mit dem der Wildpute, relativ klein (Kattanek 2015). Es kann den schweren Körper nur durch ständige Leistungssteigerung mit ausreichend Sauerstoff versorgen. Durch diese Belastung entsteht eine Herzschwäche, die spontane Kardiomyopathie (STC, Kugelherzkrankheit). Als Ursache wird neben der gesteigerten Wachstumsrate auch eine schlechte Sauerstoffversorgung der Küken schon in der Brutmaschine, Stress und die Futterzusammensetzung genannt (vgl. Kattanek 2015).

Innere Blutungen: Eine weitere zum Tode führende Erkrankung der Mastputen ist die Aortenruptur. Bei den schweren, schnellwachsenden Puten kann es zu Rissen in der Wand der großen Blutgefäße kommen, die zu inneren Blutungen und dadurch zum Tod führen. Aortenrupturen besitzen in einigen Putenbeständen eine hohe Mortalitätsrate, es wurden Fälle mit Verlusten von 20 bis 50 % berichtet (Krista et al. 1967).

Atemwegserkrankungen

Infektionen: Mastputen erkranken häufig an Infektionen der Atemwege. Viren, Bakterien und Pilze sind hier Auslöser, aber auch Mängel in der Haltung, durch die Schadgase und der Staubgehalt der Luft zunehmen und dann zu Schleimhautreizungen der Atemwege (auch der Augen!) und zu Schädigung des Lungenepithels führen (Ermakow 2012). Der Gehalt von Ammoniak in der Stallluft hängt direkt von der Besatzdichte und dem Einstreu- und dem Lüftungsmanagement ab. Eine hohe Besatzdichte führt zu mehr Putenkot, aus dem das ätzende Ammoniak freigesetzt wird. Verschlimmert wird dies noch durch feuchte Einstreu. Durch mangelnde Durchlüftung steigt der Ammoniakgehalt in der Luft an und die Tiere erleiden Atemwegserkrankungen (Richter, 2006).

Gegenseitige Verletzungen

Beschädigungspicken und Kannibalismus: Picken am Boden zur Futtersuche und Erkundung, freundliches Picken am Sozialpartner, aber auch aggressives Picken gehören zum Verhaltensrepertoire der Hühnervögel. In der Putenmast kommt es häufig zu exzessivem ‚Federpicken‘, bei der sich die Puten gegenseitig größere Verletzungen zufügen und die im Kannibalismus enden können. Als auslösende Faktoren werden genetischer Einfluss, Sozialstress und Bewegungs- und Beschäftigungsmangel in der reizarmen und unstrukturierten Haltungsumwelt diskutiert (Ermakow 2012).

Anstatt das Verhalten in den Zuchtlinien auszumerzen und die Haltungsbedingungen für die Mastputen zu ändern, ist die Schnabelamputation das Mittel der Wahl gegen diese Verhaltensstörung. Bei der Schnabelamputation wird das Schnabelgewebe (Hornsubstanz und Knochen) des Oberschnabels zerstört. Dadurch verliert der Schnabel nicht nur den für ein Picken nötigen Schluss der Spitzen (Pinzettengriff), sondern ein wichtiges Tastorgan, denn die Spitzen von Ober- und Unterschnabel sind intensiv durchblutet und mit Nerven durchzogen. Im Unterschnabel befindet sich zudem das Bill-Tip Organ, das dem Schnabel durch seine Tastkörperchen und Nervenfasern zu vielen sensiblen Funktionen verhilft und zum Beispiel bei Nahrungssuche und Gefiederpflege nötig ist. Wenn bei der Amputation des Oberschnabels dieses Organ durch die Hitzeeinwirkung eines Infrarotstrahls ebenfalls zerstört wird, wird dadurch der Schnabel in seiner Funktion erheblich beeinträchtigt. Die durch die Hitze entstehenden Läsionen können mit Verbrennung des zweiten oder dritten Grades der menschlichen Haut gleichgesetzt werden (Fiedler und König, 2006). Die Schnabelamputation wird betäubungslos bei Küken durchgeführt und verursacht akute und chronische Schmerzen (Petermann, 2006). Nach § 6 TierSchG ist dieser Eingriff zwar verboten, kann aber – um Schäden durch das Bepicken von Artgenossen zu verhindern – per Genehmigung der zuständigen Behörde erlaubt werden und ist auf diese Weise gängige Praxis.

Ein Ausstieg aus der Praxis des Schnabelkürzens ist für Mastputen noch nicht wirklich in Sicht. Zwar wurde 2015 vom Bundeslandwirtsschaftsministerium (BMEL 2015) gemeinsam mit der Geflügelwirtschaft die „Vereinbarung zur Verbesserung des Tierwohls, insbesondere zum Verzicht auf das Schnabelkürzen in der Haltung von Legehennen und Mastputen“ formuliert und als Zeithorizont für den Ausstieg aus der Schnabelkürzung der 1. Januar 2019 genannt, aber nur für Putenhennen und nur dann, wenn eine vorgeschaltete Evaluierung Ende 2017 zur Prüfung der Machbarkeit dies rechtfertigt. Der Verzicht auf das Schnabelkürzen auch bei der Mast von Putenhähnen soll ‚langfristig erfolgen‘.

Missbrauch von Antibiotika

Angesichts der vielfältigen Krankheiten der Puten ist die Verabreichung von Antibiotika in der Putenmast Alltag. Eine Einzelbehandlung findet im Maststall in der Regel nicht statt, sondern es werden alle Tiere behandelt (Metaphylaxe). Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland mit dem Medikamentenverbrauch eine Spitzenposition ein, nur Zypern, Italien, Spanien und Ungarn verabreichen noch mehr Antibiotika in der Tiermast (Meyer, 2015). ) Eine Studie des Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV 2014) ergab, dass Antibiotika in manchem Mastdurchgang mehrfach verabreicht werden. In dieser Studie wurde festgestellt, dass von 516 Mastdurchgängen 92,8% antibiotisch behandelt wurden. Es wurden 22 verschiedene Wirkstoffe eingesetzt, wobei auch zwei Wirkstoffe Verwendung fanden, die als sog. „Reserveantibiotika erhebliche Bedeutung für den Menschen haben. Andere verwendete Mittel waren für die Putenmast überhaupt nicht zugelassen. Untersuchungen der letzten Jahre zeigen immer wieder das Putenfleisch aus konventioneller Mast mit resistenten Keimen belastet sein kann.

Forderungen zur Haltung und Zucht zum Wohl der Pute

Die Verbesserung der Haltungsbedingungen in den Mastställen ist unerlässlich. Dazu gehören die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten, Strukturierung der Ställe mit höheren Ebenen, die Trennung in Aktivitäts- und Ruhezonen, Rückzugsmöglichkeiten und die Bereitstellung von Staubbädern. Dazu muss die Besatzdichte ebenfalls nach unten korrigiert werden. Dies alles könnte das Leiden der Mastputen vielleicht lindern, aber nicht beheben. Dafür wäre es nötig, die in den schweren Linien verankerte Qualzucht einzustellen und die Putenmast auf langsamer wachsende Zuchtlinien umzustellen (Hirt, Maisack & Moritz, 2016). Alternativen zu den schweren Linien gibt es bei den ausländischen Zuchtunternehmen, die auch leichte und mittelschwere Zuchtlinien anbieten und natürlich im Ökolandbau, in dem langsamer wachsende Masthybriden gehalten werden.

Auf das qualerzeugte billige Putenfleisch sollte der Konsument bis dahin verzichten.

Literatur:

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Almuth H., Maisack, C. & Moritz, J. (2016): Tierschutzgesetz Kommentar. Vahlen, 3. Aufl. 2016 .

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Bergmann, S.M. (2006): Vergleichende Untersuchung von Mastputenhybriden (B.U.T. Big 6) und einer Robustrasse (Kelly Bronze) bezüglich Verhalten, Gesundheit und Leistung in Freilandhaltung. Diss. München.

Berk, J. & Bartels, T. (2014): Ballenentzündungen und Kannibalismus: Tierschutzrelevante Phänomene in der Mastputenhaltung. Im Fokus, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.

BMEL (2015): Vereinbarung zur Verbesserung des Tierwohls, insbesondere zum Verzicht auf das Schnabelkürzen in der Haltung von Legehennen und Mastputen. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. BMEL (Hrsg.). http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/VereinbarungVerbesserungTierwohl.pdf;jsessionid=BC3B65D3A961ED4CA7089D2AEDBC50EE.1_cid376?__blob=publicationFile

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Buchwalder, T. & Huber-Eicher, B (2005): Einfluss der Gehegefläche auf das Aggressionsverhalten von Masttruten. In: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (Hrsg.): Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung, Darmstadt.

Petermann, S. (2006): Geflügelhaltung, In: Richter (Hrsg.) , Krankheitsursache Haltung – Beurteilung von Nutztierställen – ein tierärztlicher Leitfaden, Enke Stuttgart.

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