Interview mit dem Vorsitzenden der EGS Hans-Georg Kluge zum „Kükentötungs-Verfahren“ vor dem Bundesverwaltungsgericht

16. Juni 2019

Unsere Mitarbeiterin Beate Fischer hat dem Vorsitzenden der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz (EGS) Hans-Georg Kluge einige Fragen nach Beendigung des „Kükentötungs-Verfahrens“ gestellt. Kluge war in dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Rechtsanwalt für die beiden beklagten Kreise Gütersloh und Paderborn tätig, welche das Kükenschreddern verbieten wollten. Diese hatten die Ordnungsverfügungen erlassen, die den Betreibern der Kükenmästereien das Töten der männlichen Eintagsküken sofort nach dem Schlüpfen verbieten sollten.

Portrait Hans-Georg-Kluge.
Hans-Georg Kluge, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz (EGS).

Erna-Graff-Stiftung: Herr Kluge, warum haben Sie sich während des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht als Vorsitzender der EGS nie geäußert?

Hans-Georg Kluge: Ich bin der Auffassung, dass sich beide Rollen, wenn sie gleichzeitig wahrgenommen werden, nicht gut miteinander vertragen. Der Rechtsanwalt Hans-Georg Kluge ist lediglich Teil der Rechtsanwaltskanzlei Röttgen, Kluge & Hund mbB, die mit der Mandatswahrnehmung beauftragt war. Neben mir war ja auch Rechtsanwalt Dr. Dr. Rühmann aus unserer Kanzlei in diesem Verfahren tätig. Und diese Rolle als allein dem Wohl des Mandanten verpflichteter Rechtsanwalt ist nicht unbedingt verträglich mit der gleichzeitigen Wahrnehmung der Rolle eines Tierschützers, der der Vorsitzende der EGS von Amts wegen und in der Regel auch aus Überzeugung ist. Deshalb meine Zurückhaltung, die ja auch für die Erna-Graff-Stiftung nicht einfach war.

EGS: Und warum äußern Sie sich jetzt?

Kluge: Ganz einfach. Das Mandat ist mit der Urteilsverkündung am letzten Donnerstag beendet. Unsere Kanzlei hat somit ihre intensiv wahrgenommene Pflicht gegenüber den beiden Mandanten erfüllt. Die zuständige Umweltministerin des Landes NRW hat zudem klar das ausgesprochen, was zu diesem Urteil gesagt werden muss und was wir als Anwälte unterstützen. Ich zitiere aus ihrem gestrigen Interview im Deutschlandfunk:

„Das Urteil jetzt aus Leipzig bringt uns insofern einen großen, großen Schritt weiter, weil es explizit sagt, das Töten der Küken ist nicht mit dem Grundsatz des Tierschutzes vereinbar. Das wird uns auch in anderen Fällen künftig helfen, aber jetzt war es einmal sehr wichtig. Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass die Übergangszeit dezimiert wird, auf, ich sage mal, fünf Monate oder Ähnliches.“

Diese Äußerungen der Ministerin verdienen volle Zustimmung.

Frisch geschlüpftes Hühner-Küken.
Das Töten männlicher Eintagsküken direkt nach der Geburt ist prinzipiell nicht mehr von einem vernünftigen Grund gedeckt.

EGS: Warum halten Sie das Urteil für richtig, obwohl es auf den ersten Blick wie eine Niederlage wirkt, da die Küken zunächst einmal weiter getötet werden können ?

Kluge: Das ist richtig und der große Wermutstropfen bei diesem Urteil. Dazu muss man aber wissen, dass das Kükentöten auch nach einem noch positiveren Urteil in Leipzig erst einmal weitergegangen wäre. Im besten Fall hätte nämlich das Bundesverwaltungsgericht zwar die Urteile aus Münster aufgehoben, die Verfahren aber nach dort zurückverwiesen. Zur weiteren Sachaufklärung nämlich. Etwa also zu der Frage, wie existenzbedrohend die Beendigung des Kükentötens für die Kläger wirklich wäre. Da wäre auch noch einmal sehr viel Zeit ins Land gegangen, ohne dass das Kükentöten beendet worden wäre. Der zuständige Senat beim OVG Münster ist nicht für schnelle Terminierungen bekannt. Jetzt aber haben wir Klarheit. Wir wissen jetzt, dass die Kläger und andere Kükenbrütereibetreiber ihre Praxis nur noch für eine beschränkte Zeit ausüben dürfen, wobei das Gericht den Bekundungen Ministerin Klöckners und des Vertreters des Bundesinteresses geglaubt hat, dass Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei in Kürze real zur Verfügung stehen würden. Ich persönlich glaube das übrigens nicht. Nur bis dahin, wenn Frau Klöckners Aussage denn doch stimmen sollte,  beruht eine Fortsetzung der bisherigen Praxis noch auf einem vernünftigen Grund.

Ob ich das Urteil persönlich für richtig halte, lasse ich mal dahingestellt. Den Bundesrichtern konnte man jedenfalls nicht ansinnen, einer amtierenden Bundesministerin, zudem assistiert vom Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht, nicht zu glauben. Mir war als ehemaliger Verwaltungsrichter klar, dass die jahrzehntelange billigende Hinnahme der bisherigen Praxis durch die Behörden mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz nicht unberücksichtigt bleiben würde. Die Kläger, die anwaltlich gut vertreten waren, wären sonst zum Bundesverfassungsgericht gezogen und zwar mit nicht geringer Erfolgsaussicht. Sie hätten dort möglicherweise sogar eine einstweilige Anordnung zur vorübergehenden Fortsetzung der Tötungspraxis erstreiten können.

EGS: Das ist also der Grund für Ihre relativ positive Beurteilung des Urteils?

Kluge: Eher am Rande. Aber vor allem wegen der anderen Aussagen in dem Urteil. Wie Frau Ministerin Heinen-Esser zutreffend festgestellt hat: Das Töten männlicher Eintagsküken direkt nach der Geburt ist prinzipiell seit letztem Donnerstag nicht mehr von einem vernünftigen Grund gedeckt. Damit ist das Ende dieser jahrzehntelangen Praxis endgültig besiegelt. Aber es gibt noch weitere Aussagen in dem Urteil, die mich erfreuen.

EGS: Welche Aussagen sind da erfreulich?

Kluge: Das Bundesverwaltungsgericht hat zum ersten Mal konkret – also nicht nur abstrakt im Wege einer verbalen Bekundung – die Bedeutung des Staatsziels Tierschutz im Grundgesetz betont. Wenn es formuliert, dass im „Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz“ das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund beruhe, ist das ein wichtiger Fortschritt auch in anderen Bereichen, in denen es um Tiere im Recht geht. Das Bundesverwaltungsgericht bejaht auf diese Weise, dass auch „altes Recht“ unter Berücksichtigung des Staatsziels Tierschutz anders als zuvor ausgelegt werden kann. Damit ist eine alte juristische Streitfrage erledigt. Vor allem (aber nicht nur) von Seiten der die Tiernutzer unterstützenden Juristen wurde nämlich immer wieder behauptet, dass Recht, das vor Inkrafttreten des Staatsziels Tierschutz entstanden sei, bei der Auslegung von einer nachträglichen Einwirkung des Staatsziels Tierschutz abgeschirmt sei. Dieser These ist jetzt endgültig der Boden entzogen.

Hinzu kommt: Das Bundesverwaltungsgericht hat als erstes Bundesgericht auch den prinzipiellen Lebensschutz von Wirbeltieren bejaht. Das war ja eine Frage, die ja noch in der mündlichen Verhandlung intensiv diskutiert worden ist. Wir haben dort auf die Gesetzgebungsgeschichte aus dem Jahr 1971 hingewiesen, aus der sich ergibt, dass der damalige Landwirtschaftsminister Josef Ertl (FDP), aber auch der Berichterstatter für die stärkste Regierungsfraktion Dietrich Rollmann (CDU/CSU) die Bedeutung des Lebensschutzes in den Gesetzesberatungen mehrfach und intensiv betont haben. Ich würde mir wünschen, dass die Vertreter dieser beiden politischen Lager, die heute für das Tierschutzrecht zuständig sind, diese historischen Zusammenhänge kennen würden.

EGS: Sie haben im Jahre 2006 einen hessischen Landkreis vor demselben Senat des Bundesverwaltungsgerichts in einem Verfahren zur Zulässigkeit des Schächtens vertreten und nach der Verhandlung und dem Urteil heftige, auch öffentliche Kritik an diesem Senat geübt. Wenn ich Sie recht verstehe, würden Sie eine solche Kritik nicht an dem Senat üben, der am vergangenen Donnerstag entschieden hat?

Kluge: Das ist zutreffend. Im Jahre 2006 musste ich im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens sogar einen Befangenheitsantrag gegen den damaligen Vorsitzenden Kley stellen, über den dann aber nicht mehr entschieden wurde, weil nach einer Änderung der Geschäftsverteilung der 7. Senat die Zuständigkeit für das Tierschutzrecht bekam und über die Anhörungsrüge entschied. Herr Kley hatte erst während der Urteilsbegründung – und nicht etwa zuvor während der mündlichen Verhandlung – das erst 2002 geschaffene Staatsziel Tierschutz als „kleines Mosaiksteinchen“ bezeichnet. Aber nicht nur deshalb, sondern auch wegen sonstiger sehr seltsamer Verhaltensweisen in der Verhandlung hat die Art und Weise der Sitzungsleitung durch Herrn Kley die Kritik vieler Tierschützer auf sich gezogen. Seitdem herrschte bei vielen Tierschützern großes Misstrauen gegen diesen Senat, das sich ja auch in Petitionen etc. niedergeschlagen hat. Einzig Positives damals war, dass mehrere Zuhörer spontan nach der Verhandlung diversen Tierschutzorganisationen beigetreten sind. Ich persönlich war regelrecht sauer, weil ich selbst dem Berufsstand der Verwaltungsrichter entstamme und mich vor den Tierschützern für diese Verhandlungsführung geschämt habe.  Ich will das hier aber nicht wieder alles hervorkramen. Ist ja damals intensiv auch öffentlich diskutiert worden. Das ist jetzt definitiv vom Tisch.

EGS: Inwiefern hat sich der jetzige Senat anders verhalten?

Kluge: Wir hatten es dieses Mal mit einem Senat zu tun, der richterlich verhandelt hat. In jedem Moment der mündlichen Verhandlung war die Ergebnisoffenheit und das ernsthafte Interesse des Senats zu spüren, eine rechtsorientierte und zugleich gerechte Lösung zu finden. Auch die Verlegung des Verkündungstermins u.a. wegen weiteren Beratungsbedarfs verriet, dass im Senat intensiv um die richtige Lösung gerungen wurde. Das richterliche Berufsethos als unverzichtbarer Hintergrund der Rechtsprechungstätigkeit war hier also jederzeit greifbar. Ich wusste, dass es hier ein der juristischen Methodik entsprechendes Urteil geben würde, selbst wenn ich das Urteil vielleicht als nicht zufriedenstellend empfinden würde. Für mich persönlich war das nach den früheren Erfahrungen befreiend. Ich hoffe sehr, dass auch die Laien unter den Tierschützern und Tierrechtlern erkennen, dass hier jetzt ein Senat für das Tierschutzrecht zuständig ist, der dieses Rechtsgebiet ernst nimmt. Nicht alle Äußerungen direkt nach der Verhandlung haben mich das glauben lassen. Umso erfreulicher, dass einige Äußerungen außerordentlich kenntnisreich sind wie etwa die der mit uns befreundeten Albert Schweitzer Stiftung.

EGS: Was werden die nächsten Schritte sein?

Kluge: Die Frage, mit der sich nun alle beschäftigen, lautet, wie lange wird die Frist sein, die den Kükenbrütereien verbleibt, um auf der Grundlage des vom Bundesverwaltungsgericht momentan noch bejahten vernünftigen Grundes ihre Tötungspraxis fortsetzen zu können. Laut Tagesspiegel hat Ministerin Klöckner behauptet, dass eine Methode zur Geschlechtsbestimmung im Hühnerei „im kommenden Jahr allen Brütereien in Deutschland zur Verfügung stehen“ solle. Das Verfahren werde serienreif und dann greife das Tierschutzgesetz, hat Klöckner danach weiter gesagt. Sollte diese Frist nicht eingehalten werden, ist die Grundlage der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts entfallen. Die deutschen Tierschutzorganisationen werden das genau im Auge behalten. Da bin ich ganz sicher.

EGS: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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