5. Oktober 2017
2013 veröffentlichte Animal Rights Watch e.V. (ARIWA) erschütternde Aufnahmen aus dem Betrieb einer der größten deutschen Schweinehalter. In der Anlage des Niederländers Harry van Gennip in Sandbeiendorf in Sachsen-Anhalt leben etwa 65.000 Schweine. Drei Aktivisten betraten im Juni und Juli 2013 den Betrieb. Ziel war es, die schlimmen Zustände zu filmen und Strafanzeige gegen den Betreiber bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten, um den Tieren zu helfen. Obwohl es Hinweise über Missstände in dem Betrieb gegeben hat, blieben die Behörden weitestgehend passiv.
Ein milderes Mittel zur Verbesserung der katastrophalen Zustände sahen die Tierschützer nicht. Über Jahre hinweg wurde die traurige Erfahrung gemacht, dass eine Anzeige ohne Beweismittel die Behörden nicht zu einem Handeln bewegt.
Die Tierschützer fanden kranke und verletzte Schweine sowie lebensschwache Ferkel vor. Kadavertonnen waren gefüllt mit toten Tieren. Die überlebenden Tiere mussten unter katastrophalen Bedingungen ihr Leben fristen: Sie lebten in ihren eigenen Exkrementen und waren teils stark verkotet. Verwesende Ratten und massenhaft Maden in den Güllegruben unterhalb der Tiere wurden dokumentiert. Der hohe Ammoniakgehalt in der Luft raubte den Aktivisten den Atem.
Die Aufnahmen zeigten zudem Tiere in viel zu engen und vermutlich zu kurzen Kastenständen. Aufgrund der Enge hatten die Tiere nicht die Möglichkeit, ihre Gliedmaßen auszustrecken, ohne einander zu bedrängen. Auch Eber wurden verbotenerweise in Kastenständen gehalten. Die Wasserversorgung war mangelhaft oder fehlte komplett. Ferner fehlte den Tieren Beschäftigungsmaterial. Aufgrund der permanenten Langeweile in solchen Tierhaltungen kommt es häufig zu Kannibalismus unter den Schweinen. Die Tiere verletzen sich gegenseitig.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Magdeburg die Ermittlungen gegen den Schweinehalter eingestellt hatte, wurden die Tierschützer selbst wegen Hausfriedensbruch vor Gericht (AG Haldensleben) gestellt. Hier zeigt sich ein großes Missverhältnis: Selbst offensichtliche und massive Tierquälerei in unzähligen Fällen scheinen in unserer Rechtsprechung weniger Gewicht zu haben, als das Betreten eines Stalles, um langanhaltendes Tierleid zu beenden.
September 2016 – ein Urteil mit Signalwirkung: Die drei angeklagten Tierschützer wurden freigesprochen. Die Richterin des Amtsgerichts Haldensleben erkannte mit ihrem Urteilsspruch an, dass der Hausfriedensbruch nach §34 StGB als „rechtfertigender Notstand“ legitimiert war. Das Urteil macht deutlich, dass das erhebliche Tierleid in dem Schweinebetrieb aufgrund staatlicher Versäumnisse nicht auf einem milderen Wege hätte beseitigt werden können. Die Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz begrüßte diese Entscheidung als wegweisend.
Gegen das zu begrüßende Urteil legte die Staatsanwaltschaft Magdeburg Berufung ein.
Die öffentliche Berufungsverhandlung findet am 11. Oktober 2017 im Landgericht Magdeburg statt. Das Verfahren wird intensiv von der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz unterstützt. Ein Vorstandsmitglied der Stiftung, von Beruf Anwalt, ist Verteidiger eines der Angeklagten. Die Stiftung erhofft sich ein Urteil im Sinne des Tierschutzes – den Freispruch der drei Tierschutzaktivisten. Andernfalls ist sie bereit, für eine so wichtige Fragestellung bis zum Bundesverfassungsgericht einzustehen. Dieses muss dann höchstrichterlich über derartige Fälle entscheiden.
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