Erfurter Stadtverwaltung irrt: Keine Pflicht zur Tötung von Waschbären!

17. April 2020

Die Argumentation der Stadtverwaltung, es habe aufgrund von EU-Recht keine andere Möglichkeit als die Tötung gegeben ist falsch!

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Waschbär Erfurt

Worum geht es im Verfahren zum getöteten Waschbär von Erfurt?

Im Dezember 2019 wurde auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt ein Waschbär aufgefunden, der zunächst für betrunken gehalten wurde. Als sich der Waschbär erschöpft auf die Rathaustreppe legte, wurde die Berufsfeuerwehr alarmiert, die das Tier mitnahm. Diese verständigte den Stadtjäger, der das Tier kurz darauf tötete.

Wie rechtfertigt die Stadt die Tötung des Waschbären?

Zunächst argumentierte man in der Stadtverwaltung damit, dass der Waschbär an einer Erkrankung litt und durch den Jäger erlöst werden musste. In verschiedenen Medienberichten war davon die Rede, dass eine Tierärztin per Ferndiagnose eine Staupeerkrankung festgestellt hatte. Wie genau diese Ferndiagnose stattgefunden haben soll, wurde nicht thematisiert.

Mit der Veröffentlichung unseres Vorhabens und Beantragung der Akteneinsicht argumentierte die Stadtverwaltung plötzlich in eine andere Richtung. Ob der Waschbär tatsächlich krank gewesen sei oder nicht, spiele gar keine Rolle. Man wäre aufgrund von EU-Recht verpflichtet gewesen, den Waschbären, der zu den sog. invasiven Arten zählt, zu töten. Für uns ein deutlicher Hinweis darauf, dass man sich innerhalb der Stadtverwaltung doch unsicher bezüglich der angeblichen Erkrankung des Tieres ist und unser Akteneinsichtsgesuch eine fehlende eindeutige Diagnose oder gar eine fehlende Untersuchung des Tieres aufdecken würde. Bis heute wurde unser Antrag auf Akteneinsicht nicht beschieden. Mit Ablauf der Frist werden wir Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben, was wir mit unserem Antrag auch bereits angekündigt haben.

Warum ist die Aussage, dass eine Verpflichtung zur Tötung des Waschbären bestand, falsch?

Die EU-Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass invasive Arten zurückgedrängt werden. Insbesondere soll die Einbringung dieser Arten verhindert werden und es sollen auch Maßnahmen getroffen werden, die eine Ausbreitung der Art verhindern. Welche Maßnahmen das jeweils sind, entscheidet der Mitgliedstaat selbst. Die EU-Verordnung schreibt also keine konkreten Maßnahmen, z.B. eine Tötungsverpflichtung der Mitgliedstaaten vor.

Falsch ist daher, dass die EU-Verordnung es verbietet, invasive Arten wie den Waschbären am Leben zu lassen. Dieses Verbot findet sich an keiner Stelle der Verordnung. Allgemein zielt diese auf eine Eindämmung der Population von ivasiven Arten ab. Die Verordnung setzt jedoch nur das Ziel und überlässt die konkreten Maßnahmen den Ländern. Bezüglich weit verbreiteten Arten wie dem Waschbär regelt die Verordnung ausdrücklich, dass die zu treffenden Maßnahmen in einem angemessen Verhältnis zu den Auswirkungen auf die Umwelt stehen müssen und sowohl tödliche als auch nicht tödliche Maßnahmen möglich sind. Zur Umsetzung dieser Verpflichtung wurden auf nationaler Ebene Regelungen im BNatSchG (und teilweise auch im BJagdG) getroffen, die vor allem die Zuständigkeiten und die Zusammenarbeit bei der Verfolgung dieses Ziels regeln. In § 40 a Abs. 1 BNatSchG wurde eine sog. Generalklausel eingeführt, nach der die zuständigen Behörden die Ziele der Verordnung durch im Einzelfall und nach pflichtgemäßem Ermessen getroffene erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen umsetzen. Weder die EU-Verordnung noch die nationale Regelung sehen demnach eine Tötungsverpflichtung vor!

Waschbär Erfurt getötet

Falsch ist auch die Aussage, der Waschbär musste getötet werden, da EU-Recht es verbiete, ihn wieder freizulassen und damit die Tötung die einzige Alternative sei. Bezug genommen wird damit auf eine ebenfalls aufgrund der EU-Verordnung eingeführte Vorschrift im BNatSchG. Nach § 69 Abs. 6 BNatSchG handelt ordnungswidrig, wer ein Tier einer invasiven Art verbringt, hält, züchtet, befördert, in Verkehr bringt, verwendet, tauscht, zur Fortpflanzung, Aufzucht oder Veredelung bringt oder in die Umwelt freisetzt. Statt der Tötung wäre es aber eine weniger eingriffsintensive Alternative gewesen, den Waschbären auf Dauer in einer Auffangstation unterzubringen. Auch dies ist durch EU-Recht nicht verboten. Das bestätigte auf eine Parlamentarische Anfrage auch die EU-Kommission, in deren Antwort es heißt, dass verwaiste oder verletzte Waschbären von Auffangstationen, Zoos, Privatpersonen aufgenommen werden können, sofern sichergestellt ist, dass die Tiere unter Verschluss gehalten werden und alle geeigneten Maßnahmen getroffen sind, um deren Fortpflanzung oder Entweichen zu verhindern. Das Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz des Freistaats Thüringen selbst erklärt in seinem Management und Maßnahmenblatt zum Waschbären zur Umsetzung der EU-Verordnung unter Maßnahme 6: „Eine Tötung solcher Tiere ist angesichts der weiten Verbreitung des Waschbären in Deutschland nicht zwingend erforderlich, wenn sichergestellt werden kann, dass die aufgenommenen Tiere unter Verschluss gehalten werden und nicht zur Reproduktion gelangen.“ Insofern scheint die Stadt ihr eigenen Umsetzungsregelungen nicht zu kennen.

Bei der zu treffenden Entscheidung, welche Maßnahme zur Umsetzung der EU-Verordnung angewandt wird, spielt außerdem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine entscheidende Rolle. Denn steht die Maßnahme im Ermessen der zuständigen Behörde, kann diese zwar die Auswahl selbst treffen, sie hat aber stets das Mittel zu wählen, welches unter mehreren zur Verfügung stehenden und gleichwirksamen Alternativen das mildeste ist. Stehen also mehrere Mittel zur Auswahl, die das begehrte Ziel gleich effektiv erreichen, besteht eine Auswahlverpflichtung zugunsten der Methode, die den geringsten Eingriff darstellt. Vorliegend wäre neben der Tötung des Waschbären eine dauerhafte Unterbringung und Pflege in einer Auffangstation in Frage gekommen. Wie auch die EU-Kommission bestätigte, stellt dies eine mögliche Maßnahme zur Umsetzung der EU-Verordnung dar. Relevant ist hier zum einen, dass sich die Stadt dieser Auswahlmöglichkeiten scheinbar gar nicht bewusst war, da sie von einer Tötungsverpflichtung ausging. Schon dies macht die Entscheidung zur Tötung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, da der vorhandene Entscheidungsspielraum verkannt wurde. Zum anderen hätte bei der Entscheidung der verfassungsrechtlich in Art. 20 a GG verankerte Tierschutz zugunsten einer lebenserhaltenden Maßnahme berücksichtigt werden müssen. Das deutsche Tierschutzgesetz schützt nicht nur das Wohlbefinden von Tieren, sondern – wie das Bundesverwaltungsgericht erst kürzlich festhielt – auch das Leben des Tieres als solches. Die Tötung eines Tieres stellt demnach den weitreichendsten Eingriff nach dem Tierschutzgesetz dar und verursacht für das Tier den größtmöglichen Schaden. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in der oben genannten Entscheidung klar, dass der Tierschutz durch die Einführung ins Grundgesetz über die nationale Verankerung hinaus weiter gestärkt wurde und als Belang von Verfassungsrang geeignet sein kann, sogar andere Belange von verfassungsrechtlichem Gewicht wie Grundrechte, einzuschränken. Dieses nun auch obergerichtlich festgestellte Gewicht des Tierschutzes und damit des Rechts auf Leben jedes einzelnen Tieres zwingt zur Auswahl gleichwirksamer und lebenserhaltender Maßnahmen, sofern diese vorhanden sind. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe hat die Stadtverwaltung mit der Tötung verkannt.

Wie geht es weiter?

Um zu beurteilen, ob sich die Verwaltung mit der Tötung des Tieres auch strafbar gemacht hat, sind wir auf die Akteneinsicht angewiesen. Sollte uns diese bis zum Ablauf der Frist nicht gewährt werden, wird die Sache vor das Verwaltungsgericht kommen. Wir werden dann Klage auf Einsicht in die Akten gegen das Land Thüringen erheben.

Wir hoffen somit, dass die Strafanzeige zum Prozess führt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei ist schon die gerichtliche Aufarbeitung solcher Vorfälle ein entscheidender Schritt: Weg von der bisherigen Zurückhaltung der Strafbehörden und -gerichte hin zu einer aktiven und wirksamen Durchsetzung des Tierschutzrechts. Dies geschieht im Moment noch nicht, Staatsanwaltschaften und Gerichte stellen Strafverfahren im Tierschutzrecht ganz überwiegend ein. Dabei ist es die Vorgabe unserer Verfassung, den Tierschutz als Staatsziel zu verwirklichen. Dies bedeutet, dass alle staatlichen Institutionen bei ihren Handlungen berücksichtigen müssen, ob hierdurch das Staatsziel bestmöglich gefördert und umgesetzt wird. Dieser Verantwortung für Tiere, die keine eigene Möglichkeit zur Rechtswahrnehmung haben, müssen die damit betrauten staatlichen Stellen engagiert wahrnehmen.

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