Ethische Kodizes gibt es im Rahmen der -> medizinischen Ethik und neuerdings auch der —> tierärztlichen Ethik. Vgl. hierzu Gretchen Lockwood (1986). Soweit sie das Umgehen mit dem Tier behandeln und die Arbeit der —> Ethikkommissionen betreffen, hier ein Überblick:
I. Das International Journal for the Study of Animal Problems (Vol. 1, 198o, No 6, S. 35o ff.) enthält den 1979 entstandenen Entwurf „Ethical Principles in Animal Experimentation” mit 10 Artikeln, die inhaltlich in vielen späteren Kodizes wiederauftauchen; sie enthalten jedoch nichts, was heute noch erwähnenswert wäre.
II. Der „Code for Ethics for the Use of Animals in Research” beruht auf einer Stellungnahme des Canadian Council of Animal Care vom Juli 198o und enthält zwei Regelungen, die darauf abzielen, besonders schmerzhafte Eingriffe abzubrechen oder erst gar nicht vorzunehmen. In Ziffer 3 wird verlangt, daß ein Tier, das erhebliche Schmerzen leidet, die man nicht lindern kann, sofort unter Narkose getötet wird. In Ziffer 10 werden die Anwendung von Curare ohne gleichzeitige Narkose sowie Traumatisierungen durch Druck, Schlag oder Stoß bei nicht narkotisierten Tieren oder bei Tieren, die anschließend wieder aus der Narkose erwachen sollen, verboten. Vgl. hierzu die Untersuchung von Helmut Piechowiak (1983).
III. Die Internationale Gesellschaft für Schmerzforschung hat 1982 „Ethical Guidelines for Investigations of Experimental Pain in Conscious Animals” verabschiedet. In den Richtlinien wird u. a. gefordert, daß dem Wissenschaftler die Notwendigkeit der ethischen —> Verantwortung klar ist. Auf welcher ethischen Grundlage diese Verantwortung beruhen soll, wird nicht gesagt. In einem weiteren Punkt wird auf die Möglichkeit der Selbsterprobung von Schmerzreizen verwiesen. Im übrigen wird der traditionelle Rahmen solcher Texte nicht verlassen. Vgl. Manfred Zimmermann (1983).
IV. Codex experiendi der Deutschen Tierärzteschaft (1983). Der Text enthält einen theoretischen Teil, in dem die —> Tierversuche unter Berufung auf eine strenge Verantwortungsethik (-> Verantwortung II) grundsätzlich gerechtfertigt werden. Prämisse ist die Vorrangigkeit des Menschen gegenüber dem Tier: „Eine Begründung von Verfügungsrechten kommt ohne Rangvorstellungen nicht aus. Dem Menschen hierbei eine Spitzenposition zuzuerkennen, bedeutet nicht, ihm ein Privileg einzuräumen, sondern seine Eigenart als vorläufiges Endprodukt einer natürlichen Entwicklung zu begreifen und sich damit in übereinstimmung mit den vorherrschenden religiösen und philosophischen Vorstellungen unseres Kulturkreises zu befinden, auch mit seiner humanistischen Denktradition” (B 4). Der praktische Teil enthält 6 Punkte, die nirgendwo über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen oder auch nur eine Vorkämpferrolle des Tierarztes zugunsten der Tiere erkennen lassen.
V. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften und die Schweiz. Naturforschende Gesellschaft haben 1983 „Ethische Grundsätze und Richtlinien für Wissenschaftliche Tierversuche” (abgedruckt bei Martin Speich 1983, S. 131-134) verabschiedet. Sie berufen sich in Teil II (Ethische Grundlagen Ziffer 2.2) auf das Faktum der tradi- tionellen Ausbeutung der Tiere. Tierversuche „stellen eine Form der vom Menschen seit jeher unternommenen Nutzung von Tieren zum Zwecke der Selbsterhaltung und zur Förderung seines Wohlergehens dar . . . Das Recht, das der Mensch sich nimmt, ist aber gekoppelt mit der Pflicht, den Mißbrauch dieses Rechts zu vermeiden.” Die Frage nach der ethischen Begründung dieses beanspruchten Rechtes wird nicht erörtert. Die an die Durchführung der Tierversuche gestellten Anforderungen enthalten in Ziffer 4.6 einen erwähnenswerten Punkt: „Versuche, die dem Tier schwere Leiden verursachen, müssen vermieden werden, indem durch Änderung der zu prüfenden Aussage andere Erfolgskriterien gewählt werden, oder indem auf den erhofften Erkenntnisgewinn verzichtet wird. Als schwere Leiden gelten Zustände, welche beim Menschen ohne lindernde Maßnahmen als unerträglich zu bezeichnen wären.” Eine ähnliche Regelung findet sich auch in den Richtlinien der International Society an Toxicology (Ziffer 4.3), veröffentlicht in: Toxicon 24. 1986, 4. 327-330.
VI. Die Deutsche Physiologische Gesellschaft hat 1984 „Grundsätze und Richtlinien für Wissenschaftliche Tierexperimente” erarbeitet. Die ethische Begründung beruft sich in Ziffer 22 auf die Pflicht des Menschen, „in seinem Handeln das größtmögliche Wohlergehen aller Betroffenen zu erstreben. Hierzu gehört auch eine ethisch verantwortungsvolle Haltung gegenüber dem Tier.” Diese Berufung auf ein bekanntes und nicht von vornherein anthropozentrisches Konzept (—> Utilitarismus) wird jedoch nicht durchgehalten. Die Richtlinien zur Durchführung der Tierversuche bewegen sich im gesetzlichen Rahmen.
VII. „International Guiding Principles for Biomedical Research Involving Animals” werden seit 1983 von der Weltgesundheitsorganisation und der UNESCO gemeinsam vorbereitet. Sie sind sehr allgemein gehalten und gehen in keinem Punkt über die sonst üblichen Forderungen hinaus; vgl. J. E. Cooper (1985).
Weitere Literatur: K. J. Ullrich und O. D. Creutzfeldt 1985, S. 260 ff