23. Oktober 2020
Seit wenigen Tagen ist ein Projekt der Stadt Düsseldorf in aller Munde, das zur Minimierung der Stadttaubenpopulation beitragen soll: Projekt Sterilisation Stadttauben. In Kooperation mit dem Tierschutzverein werden dort Straßentauben eingefangen, sterilisiert und wieder freigesetzt. Neben dem verordneten Fütterungsverbot und den betreuten Taubenschlägen soll dies langfristig dazu beitragen, Straßentauben aus den Städten zu verdrängen. Dieses Vorgehen ist mit großen Risiken für die Tiere verbunden und erfordert die Einhaltung hoher Verfahrensstandards. Außerdem verstößt es dort gegen das Tierschutzgesetz, wo der Taubenbestand stattdessen durch Geburtenkontrolle minimiert werden kann. Wir haben von unserem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht und die Stadt zur Stellungnahme aufgefordert.
Nach einem Bericht der BILD-Zeitung wird der Eingriff nur an männlichen Tieren vorgenommen. Hierzu wurden zunächst 22 Täuber kastriert, 50 weitere sollen folgen. Nach Angaben der Stadt werden die Tiere vor dem Fang beobachtet, um so anhand des Verhaltens der Tiere ihr Geschlecht festzustellen. Viel mehr ist über die Verfahrenweise beim Eingriff nicht bekannt.
Grundsätzlich erlaubt das Tierschutzgesetz Kastrations- und Sterilisationsmaßnahmen an Tieren, um deren unkontrollierte Vermehrung zu verhindern. So wird es teilweise auch bei streunenden Katzen praktiziert. Voraussetzung für den Eingriff ist jedoch, dass dieser durch einen Tierarzt vorgenommen wird (§ 6 Abs. 1 S. 3 TierSchG) und den Tieren so wenig Stress, Schmerzen und Leid wie möglich zugefügt wird.
Außerdem hängt die Zulässigkeit der Maßnahme davon ab, ob andere gleich geeignete Mittel zur Bestandsminimierung existieren. Die Stadt stützt sich hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Verfahrens auf die Doktorarbeit “Minimalinvasive endoskopisch gestützte Sterilisation männlicher Stadttauben (Columba livia forma urbana) als Maßnahme zur Populationsregulierung” der Frau Elisabeth Heiderich, in deren Rahmen über 500 Tauben eingefangen und unfruchtbar gemacht wurden. Die Befruchtungsrate der jeweiligen Taubenpaare konnte damit für die kommende Monate zumeist auf 0 gesenkt werden. Teilweise wurde allerdings beobachtet, dass es zu Paarungen mit anderen Tauben kam, was die Befruchtungsrate wiederum erhöhte. Die Verfasserin selbst erklärt deshalb: “Ob es auf diese Weise möglich ist eine langfristige und nachhaltige Bestandsregulierung sicherzustellen, kann jedoch erst nach einer mehrjährigen Anwendung überprüft werden.” Im Rahmen der Studie mussten 64 Tiere (über 12 %) aufgrund von Komplikationen mehrmals operiert werden. Fast 6 % der männlichen Tieren starben. Das Verfahren ist zwar minimalinvasiv, trotzdem aber aufgrund der innenliegenden Geschlechtsorgane bei Tauben nicht komplikationslos wie diese Zahlen belegen.
Im Ergebnisbericht äußert Heiderich außerdem selbst Bedenken: “Ein Problem für die langfristige Wirksamkeit der hier untersuchten Methode könnte die Sterilisation einer genügend großen Anzahl männlicher Tauben sein. Nach HAAG-WACKERNAGEL (2012) sind bei einer Sterberate von 20% und einer Nachwuchsrate von 3 Jungtieren/Paar/Jahr 13,3% der Population in der Lage, die durch die natürliche Mortalität entstandenen Verluste zu kompensieren. Das bedeutet, dass 86,7% aller Stadttauben in Bern sterilisiert werden müssten, um eine nachhaltige Reduktion der Populationsgröße zu erreichen.” Schon vor diesem Hintergrund erscheint das nun durchgeführte “Pilotverfahren” als von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Des Weiteren stützt sich die Stadt hiermit auf eine Arbeit, in dessen Rahmen die Verfasserin Handlungsempfehlungen ausspricht, die offenkundig gegen das geltende Tierschutzrecht verstoßen. So heißt es dort weiter: “Für Städte mit sehr großen Taubenpopulationen ist es womöglich empfehlenswert, die Taubenzahl zunächst durch schmerzfreie Tötung zu dezimieren, um sie danach auf einem niedrigeren Niveau durch Sterilisation der Männchen stabilisieren zu können.” Diese Einschätzung der Frau Heiderich gibt Anlass dazu, sämtliche Aussagen der hier angeführten Arbeit zu hinterfragen.
Zudem fehlt es auch dann an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, wenn die Sterilisation an Tauben vorgenommen wird, die sowieso in einem betreuten Taubenschlag leben. Gerade hier besteht dann nämlich die Möglichkeit, dasselbe Ergebnis durch einen Austausch der Eier vor Befruchtung zu erzielen. Hiervon geht im Übrigen auch die Verfasserin der Doktorarbeit aus, die den Vorteil des Sterilisationsverfahrens insbesondere darin sieht, auch Tiere zu erfassen, die nicht in Taubenschlägen angesiedelt sind. Jedenfalls für in Taubenschlägen lebende Tiere fehlt es somit an der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.
Wir haben deshalb den Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, Thomas Geisel, aufgefordert, insbesondere zu unseren nachfolgenden Fragen Stellung zu nehmen und Einsicht in alle relevanten Akten zu gewähren.
Sollte uns die Beantwortung dieser Fragen verwehrt werden, kommt für uns auch eine gerichtliche Durchsetzung unseres Auskunftsanspruchs in Betracht.
Nur mit Hilfe Ihrer Spenden ist die Erna-Graff-Stiftung im Stande wichtige Verfahren wie dieses für unsere tierischen Mitgeschöpfe zu finanzieren. Jeder Betrag hilft uns dabei und leistet einen wichtigen Beitrag. Nur so können veraltete wissenschaftliche Meinungen widerlegt werden, was insbesondere beim Thema Bestandsregulierung durch Fütterungsverbote dringend erforderlich ist.
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Kommentare
Sylvia Müller schreibt () :
Wunderbar! Vielen Dank für diese Aktion! Ich bin gespannt, ob die Stadt die Fragen beantworten wird.
Marion Oechsle schreibt () :
Auch von uns ganz herzlichen Dank, dass ihr euch dieses Themas annehmt!
Gina Jockwer schreibt () :
Sehr gut !! Danke. Wie immer super kompetent.