Mecklenburg-Vorpommern: Wird jetzt nur noch scharf geschossen? Tierrettung durch Feuerwehr rechtswidrig. Wir fordern ein effektives Tierrettungsmanagement!

2. Oktober 2020

Im Rahmen unserer Recherche zu den durch die Berufsfeuerwehr Rostock erschossenen Tieren “Pumba” und Mr. Blue” konnten nun auf gerichtlichem Wege Unterlagen der Stadt gesichtet werden. Danach war die Ausstattung der Feuerwehr Rostock/Tierrettung mit Schuss- und Betäubungswaffen wegen Verstoßes gegen § 107 SOG M-V rechtswidrig. Nachdem diese nun keine Waffen (auch Betäubungswaffen) mehr führen dürfen, stellt sich die Frage, wie entlaufene oder panische Tiere in Zukunft zur Rettung betäubt werden sollen. Die Polizei verfügt in der Regel nicht über Betäubungswaffen. Da es sich bei der oben genannten Norm um eine Landesnorm handelt, hat diese Frage grundsätzliche Bedeutung für ganz Mecklenburg-Vorpommern.

 Betäubung Tierrettung
Symbolbild

Was lief in Rostock schief?

Ausstattung der Feuerwehr mit Waffen war rechtswidrig

In der Vergangenheit wurden in Fällen von entlaufenen oder in Panik geratenen Tieren in Mecklenburg-Vorpommern Mitarbeiter der Feuerwehr/Tiernotrettung zu Hilfe gezogen. So geschah es auch im Falle der entlaufenen Tiere “Pumba” (Zebra) und “Mr. Blue” (für Wolf gehaltener Hund), die durch Mitarbeiter der Tiernotrettung erschossen wurden. Neben der Tatsache, dass ein Todesschuss jedenfalls im Fall von Mr. Blue wohl nicht erforderlich und damit rechtswidrig war, führt nun auch das Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern einen weiteren Grund für die Rechtswidrigkeit der Schüsse an: § 107 SOG M-V erlaubt es nur bestimmten Personengruppen zur Gefahrenabwehr von Schusswaffen (einschließlich Betäubungswaffen) Gebrauch zu machen. Dazu gehören zwar Polizisten, nicht jedoch Beamte der Feuerwehr/Tierrettung oder Tierärzte. Trotzdem sind diese bereits seit Jahren mit Schusswaffen ausgestattet und bei Tierrettungseinsätzen von der Polizei zur Unterstützung gerufen worden.

Waffenbehörde erteilte rechtswidrige Erlaubnisse

Auch von der zuständigen Waffenbehörde wurde der Feuerwehr/Tiernotrettung die Erlaubnis zum Besitz und Gebrauch von Schusswaffen erteilt. Ebenfalls rechtswidrig – entschied nun auch das zuständige Ministerium: “Allerdings ist das gemäß § 8 WaffG geforderte waffenrechtliche Bedürfnis der zwei Mitarbeiter zum Besitz an stadteigenen Schusswaffen durch das Waffengesetz nicht gedeckt. Vorrangig geregelt werden im Waffengesetz der private Erwerb und Besitz sowie der private Waffengebrauch. Bei den oben genannten Vorfällen haben die Mitarbeiter des Sachgebiets “Tierrettung” des Brandschutz- und Rettungsamtes der Hanse- und Universitätsstadt Rostock kein privatrechtliches Bedürfnis am Erwerb und Besitz dieser durch die Hanse- und Universitätsstadt Rostock beschafften Schusswaffen gehabt. (..) Für eine derartige objektive Bedürfnisbegründung zur Regelung und Durchsetzung ordnungsrechtlicher Belange stellt § 8 WaffG keine Ermächtigungsgrundlage dar.” Anders als bisher in den Medien berichtet, zog das Ministerium deshalb alle Waffen der Berufsfeuerwehr auf Dauer (!) und nicht nur vorübergehend ein.

Betäubt nun keiner mehr?

Daher stellt sich die Frage, wie die Polizei ohne Hinzuziehung von Kräften der Feuerwehr/Tiernotrettung in Zukunft mit entlaufenen Tieren umgehen wird. Nach öffentlichen Stellungnahmen verschiedenster Polizeibehörden in Deutschland sind diese häufig nicht mit Betäubungsgewehren ausgestattet, sondern arbeiten ausschließlich mit tödlichen Schusswaffen. Grund hierfür ist vermutlich eine Regelung im Tierschutzgesetz: Nach § 5 Abs. 1 S. 2 TierSchG darf die Betäubung eines Tieres nur durch einen Tierarzt vorgenommen werden. Diese Regelung soll sicherstellen, dass beim Betäubenden die nötige veterinärmedizinische Sachkenntnis vorliegt, um dem Tier unnötige Schmerzen und Leiden zu ersparen. Schon im Jahr 1988 bestätigte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass diese Regelung auch außerhalb medizinischer Eingriffe (und damit auch auf die Rettung entlaufener Tiere) Anwendung findet. Das Gesetz sieht allerdings für die zuständige Behörde die Möglichkeit vor, eine Ausnahmeverfügung für zu treffen, sofern ein berechtigtes Interesse vorliegt. Ein Beispiel ist das Einfangen frei lebender oder außer Kontrolle bzw. in Panik geratener domestizierter Tiere, sofern die Bedeutung des verfolgten Endzwecks das Risiko des Waffeneinsatzes überwiegt (Hirt/Maisack/Moritz/Hirt/Maisack/Moritz TierSchG § 5 Rn. 5).

Eine Alternative wäre die rechtzeitige Hinzuziehung eines Tierärztes, doch zeigt die Erfahrung, dass dies nur in seltenen Fällen geschieht. Oft fehlt es an der erforderlichen Organisation und Besprechung dieser Fälle: Viele Beamte wissen gar nicht, wen sie in einem solchen Fall kontaktieren können. Es fehlt an vorgegebenen Ablaufplänen und Kontaktlisten der zur Betäubung befugten Tierärzte, die oft erst beim Veterinäramt angefragt werden müssen.

Wir fordern Aufklärung und ein funktionierendes Tierrettungsmanagement

Wir haben deshalb das zuständige Ministerium aufgefordert zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:

1. Haben Polizeibehörden in M-V Ausnahmegenehmigungen zum Betäuben von Tieren?

2. Sind sie mit Betäubungsgewehren ausgestattet und entsprechend tiermedizinisch geschult (Dosierung, Schmerzausschaltung)?

3. Wie sollen entlaufene Tiere ansonsten unbeschadet eingefangen und vor dem Tod gerettet werden?

4. Wie wird bei Polizeieinsätzen vorgegangen, wenn schon zuvor bekannt ist, dass am Einsatzort auf (möglicherweise verängstigte) Hunde getroffen wird?

5. Werden die Polizeibeamten dann zusätzlich mit Betäubungswaffen ausgestattet?

6. Wie wird rechtzeitige externe Hilfe sichergestellt?

7. Existieren hierzu Schulungen und Infomaterialien für Mitarbeiter der Polizei? Wie sehen diese aus?

8. Werden solche Betäubungswaffen und Betäubungsmittel eingesetzt, die in puncto Distanz und Wirkung die größte Effektivität erzielen?

9. Wie oft werden Einsätze zur Tierrettung besprochen, um hieraus Schlüsse auf vorhandene Fehlerquellen zu ziehen?

10. Wurden auch andere Behörden zur Tierrettung mit Waffen ausgestattet?

Der Vorfall zeigt eine desaströse und zu Lasten der Tiere gehende Fehlorganisation der Behörden im Bereich der Tierrettung auf. Wir fordern die Schaffung eines funktionierenden Tierrettungsmanagements, das es Mitarbeitern der Polizei ermöglicht, entweder selbst oder durch schnelle Einschaltung Dritter eine Betäubung des Tieres vorzunehmen. Nichts anderes erfordert im Übrigen auch die Einhaltung des Tierschutzgesetzes, das eine Tötung von Tieren nur bei Vorliegen eines vernünftigen Grundes erlaubt. Ein solcher liegt aber nur dann vor, wenn kein gleich wirksames und milderes Mittel zur Gefahrenabwehr gegeben war. Bei einem Großteil der Polizeieinsätze wäre dies durch eine Betäubung des Tieres möglich gewesen, wenn die Beamten denn ausreichend geschult und entsprechend ausgestattet gewesen wären.

Aufklärung bundesweit

Da eine funktionierende Tierrettung bundesweit zum Standardprogramm der Verwaltung gehören sollte, haben wir diesen Fall zum Anlass genommen, in ganz Deutschland die Regelungen zur Tierrettung unter die Lupe zu nehmen. Zu oft kursieren Meldungen über getötete Tiere bei Polizeieinsätzen in den Medien und immer wieder stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit der tödlichen Schüsse. Wir haben deshalb die zuständigen Behörden auf die Problematik in M-V aufmerksam gemacht und um Auskunft gebeten, wie vor Ort eine tierschutzgerechte Tierrettung ermöglicht wird.

Über die Ergebnisse unserer Recherche informieren wir wie immer auf unserer Internetseite und über Facebook.

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