In der Tierschutzliteratur taucht immer wieder die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Tier- und Menschenliebe auf. Einerseits wird seit der Antike die Meinung vertreten, daß der humane Umgang mit dem Tier auch die zwischenmenschliche —> Humanität befördere, bzw. daß die gegenüber dem Tier geduldete Grausamkeit auch jederzeit in Brutalität gegen Menschen umschla- gen könne; Plutarch, Thomas von Aquin und Kant haben sich in diesem Sinne geäußert. Franz von Assisi, Albert Schweitzer und viele andere haben jedenfalls bewiesen, daß die Liebe zum Mitgeschöpf sich sehr wohl mit der Liebe zum Mitmenschen verträgt.
Andererseits sind aber auch Fälle bekannt, daß besonders engagierte Tierfreunde sich als Menschenverächter oder gar als Menschenhasser erwiesen haben. Bernhard Grzimek hat auf dieses Phänomen (1965) ausdrücklich hingewiesen, und der Friedrich dem Großen zugeschriebene Satz „Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere” wird oft zitiert. Das Thema ist irritierend und hat eine große Spannweite; hier drei Beispiele:
(1) Oft wird in Diskussionen die —> Tierquälerei mit der Kindesmiß- handlung und die mangelnde Unterstützung des Kinderschutzbundes beklagt. Der unüberhörbare Vorwurf an die Tierschützer, ihre Priorität falsch gesetzt zu haben und leidenden Kindern ihre Hilfe zu verweigern, stützt ebenfalls das Vorurteil vom Tierfreund als Menschenfeind, ja sogar als Kinderfeind. Diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, wis- sen nicht oder haben vergessen, daß es ein bekannter Tierfreund war, der den Kinderschutzbund gründete, Prof. Dr. Fritz Lejeune, weil es ihm um hilflos Leidende dieser Welt ging, und das sind eben gerade -> Kinder und Tiere: vgl. hierzu Fritz Lejeune (1961) sowie G. M. Teutsch 1979 und 1981. Eine 1983 von Allensbach ermittelte Abscheuliste der Bundesbürger hat denn auch die Kindesmißhandlung mit 85 % der Nennungen und die Tierquälerei mit 77 % an die Spitze gesetzt. Beweis genug dafür, daß es viele Menschen geben muß, die ein Herz haben für Kinder und auch für Tiere —> öffentliche Meinung. Für die These, daß Tierschutz oft mit Kinderschutz zusammengeht, hat Peter Singer (1980, S. 248) noch zwei weitere Belege geliefert. Auch in den USA ist die dortige „Society for the Prevention of Cruelty to Children” 1874 von einem Pionier des dortigen Tierschutzes, Henry Bergh, gegründet worden, und in England war es die „Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals”, die eine entsprechende Kinderschutzgesellschaft gründen half.
(2) Im Anschluß an die Aktionen zugunsten der Jungrobben ist insbesondere von kirchlicher Seite den Tierschützern nahegelegt worden, sich aus Gründen der Konsequenz ihrer Überzeugungen auch in Bezug auf den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens einzusetzen; vgl. —> Kohärenz Il.
(3) Gelegentlich wird die Assoziation Tierfreund-Menschenfreund auch ohne jeden Anlaß hergestellt, etwa wenn das Tierschutzgesetz von 1933 seines politisch belasteten Datums wegen verdächtigt wird, obwohl es eine weit in die Weimarer Republik zurückreichende Vorgeschichte und für den Tierschutz nicht mehr erbracht hat, als die Anpassung an den in England längst erreichten Stand (vgl. Ennulat/Zoebe1972, S. 22f.). Dementsprechend blieb es auch nach 1945 vom Alliierten Kontrollrat unbeanstandet.
Am häufigsten wird die Menschlichkeit der Tierschützer aber nur unterschwellig angezweifelt, etwa indem man fragt, wie es zu verantworten sei, sich um das Wohl der Tiere zu kümmern, solange die Not der Menschen in aller Welt so groß ist; zur Beantwortung dieser Frage s. Priorität 1. Menschlicher Artegoismus wird geweckt und kann so als psychologische Abwehr dem Tierschutz entgegenwirken. So wird gelegentlich gefragt, warum sich –> Tierschützer über die Käfighaltung der Hennen (–> Nutztierhaltung) aufregen, wo doch die Hennen besser geschützt seien als der Mensch. Um dies zu belegen, werden dann haarsträubende Vergleiche herangezogen, etwa daß bei der Käfighaltung schwere Hühnerrassen ein paar Quadratzentimeter mehr Platz bekommen sollen, während sich die Menschen ohne jede Rücksicht auf ihr Körpergewicht „mit den winzigen Zimmern in den genormten Reihen- häusern von heute begnügen” müssen. Selbst wenn der Artikel „Das Hennenleben” (F.A.Z. vom 12.6.1987) als Glosse gedacht sein sollte, bleibt die Tendenz fragwürdig.
Literatur: Im Text erwähnt.