Die T. hat eine weit in die Antike zurückreichende Vorgeschichte, belegt durch Berichte und Geschichten von Aelian, Plinius, Aristoteles, Lukian und Seneca. „Es sind dies Darstellungen, die bemerkenswerte Parallelen mit den in jüngster Zeit entstandenen modernen Tiergeschichten haben, wie wir sie von den Naturforschern Konrad Lorenz, Richard Gerlach, William Becker, Bernhard Grzimek u. a. kennen” (Jost Perfahl 1970, S. 146). Die neuzeitliche Tierpsychologie beginnt mit dem in der Aufklärung erwachenden Interesse an der Natur, also mit Georg Friedrich Meier, Hermann Samuel Reimarus, Peter Scheitlin und Carl Gustav Carus.
I. Nach H. Hediger(1972) läßt sich die Geschichte der Tierpsychologie weitgehend als die Geschichte des Kampfes gegen die Vermenschlichung (—> Anthropomorphismus) charakterisieren. „Vermenschlichung führte u. a. dazu, daß man der Spinne wegen ihres kunstvollen Netz- baus ein hohes Maß von (menschlicher) Intelligenz zuschrieb, dem Poli- zeihund berufsmäßigen Eifer bei der Verfolgung von Verbrechern usw.” Verständlicherweise ist ein solcher Kampf langwierig und voller Rückschläge. Als „klassisches Beispiel” eines solchen Rückschlages erwähnt Hediger(1972) das Beispiel der „sog. denkenden Pferde und Hunde, die vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg ein weltweites Aufsehen erregt haben. Sie waren angeblich imstande, durch eine besondere Klopfsprache menschliche Gedanken auszudrücken und komplizierte Rechnungen zu bewältigen. Alle diese Scheinleistungen ließen sich auf minime unwillkürliche Zeichengebung durch die Versuchsleiter zurückführen.”
Henny Jutzler-Kindermann hat über die meisten dieser Experimente (1954) ausführlich berichtet, und Hediger hat das Problem (1980, S. 112-160) nach dem neuesten Stand referiert. Auch wenn bewiesen ist, daß alle diese Tiere die ursprünglich vermutete Intelligenz nicht besitzen konnten, sondern aus der Beobachtung der jeweiligen Versuchsleiter (die ihnen oft völlig fremd waren), „merkten”, wann sie mit dem Klopfen jeweils aufhören mußten, so ist eben dies der Beweis, daß Tiere in bestimmten Bereichen jedenfalls bessere Beobachter sind als der Mensch.
II. Niemand hat je versucht, das Geheimnis dieser unsere eigenen Möglichkeiten weit übersteigenden Fähigkeit der Tiere zu erforschen. Ein wesentlicher Grund liegt vermutlich im Fehlen zuverlässiger Forschungsmethoden. Es ist schon schwer genug, das Mensch-Tier-Verhältnis aus der Sicht des Menschen zu studieren, und die Zahl solcher Untersuchungen ist außerordentlich gering, eigentlich kann man hier nur auf Arbeiten von A. M. Krüger (1934) D. Morris (1973) und M. Zillig (1961) verweisen, die aber primär psychologisch angelegt sind. Nahezu unmöglich ist die Beanwortung der umgekehrten Frage nach dem Tier- Mensch-Verhältnis aus der Position des Tieres. Seit dem gewaltigen Rückschlag, den die aufstrebende Tierpsychologie im Anschluß an den Streit über die klopfsprechenden Tiere erfuhr, haben die Forscher einen Horror vor jedem Versuch, über die Subjektivität des Tieres irgendetwas auszusagen, und beschränken sich lieber auf das physiologisch Meßbare oder ethologisch Beobachtbare. Auch Lorenz bekennt sich zu dieser Selbstbeschränkung, wenn er (1963, S. 316) schreibt: „Wir halten aus grundsätzlichen, erkenntnistheoretischen Erwägungen alle Aussagen über das subjektive Erleben von Tieren für wissenschaftlich nicht legitim, mit Ausnahme der einen, daß Tiere subjektives Erleben haben”. Lorenz spricht damit für die ganze moderne Verhaltensforschung; er hat sich aber wie kaum ein anderer auch von ihr freigemacht, indem er jenseits des von ihm für zulässig Gehaltenen unüberhörbare Kontrapunkte setzte. Vgl. hierzu auch —> Emotionalität.
Von N. Tinbergen wird der Satz berichtet: „Immer, wenn ich Stichlinge kämpfen sehe, kämpfe ich mit.” Zunächst habe er das als unwissenschaftlich empfunden und zu unterdrücken versucht. Schließlich habe er aber festgestellt, daß er gerade durch die innere Anteilnahme auf einige Feinheiten des Stichlingsverhaltens aufmerksam geworden sei. Vielleicht hat er mit einem Ohr doch auch auf Otto Koehler gehört, der anfangs der Fünfzigerjahre Tinbergens „Instinktlehre” ins Deutsche übersetzte und in seinem „Vorwort des Übersetzers” eben diese auch von Tinbergen geübte Selbstbeschränkung ausdrücklich bedauerte.
Vielleicht ist inzwischen der tote Punkt überwunden. Jedenfalls schreibt D. R. Griffin (1985) im Vorwort: „Durch die eindrucksvollen Fortschritte der Ethologie und Psychologie fmdet heute jedoch das tierliche Denken wieder ernsthafte, wissenschaftliche Beachtung. Von einem kognitiven Annäherungsversuch an die Ethologie lassen sich nachprüfbare Hypothesen erhoffen, zusammen mit Methoden, die es erlauben, die Gedanken und Gefühle der Tiere objektiv zu studieren. Ein wissenschaftlicher Fortschritt beginnt oft damit, daß jemand eine Bestandsaufnahme des Unbekannten macht und Wege umreißt, die geeignet erscheinen, unsere Ungewißheit zu verringern und unser Verständnis zu erweitern. Dieses Studium wird manchmal vorwissenschaftlich genannt, weil es die Richtung der wissenschaftlichen Forschungen vorwegnimmt und sogar vorausbestimmt, wie diese ausgeführt werden sollten. (Vielleicht brauchten wir eine gezielte Untersuchung über Vorwissenschaft.) Aktive Wissenschaftler belächeln mitunter solche Bemühungen als nutzlose und dürftige Maßnahmen. Sie vergessen dabei, daß alles so anfängt. Erst wenn wir eine Frage gestellt haben, läßt sich eine Antwort erhoffen. Die Bedeutung der vorwissenschaftlichen Mutmaßungen liegt darin, wesentliche Fragen aufzuspüren und so zu formulieren, daß sie uns zu überzeugenden Antworten führen.”
Weitere Literatur:W. Fischei 1967, D.R. Griffin 1985, S. 164-174), O. Koehler 1968.