27. Juli 2020
Unsere juristische Stellungnahme zum Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs über die Jagdbarkeit von jungen Wildtieren zeigt grundlegende Umsetzungsdefizite des Staatsziels Tierschutz auf.
Im April berichteten wir, dass der hessische Verordnungsgeber mit Wirkung zum 31. März 2020 die Schonzeiten für junge Füchse und Marderhunde aufhob. Voraus ging eine Entscheidung des Staatsgerichtshofes Hessen, nach der die bisherigen Schonzeiten für junge Füchse, Waschbären, Baummarder und Blässhühner eine Verletzung der Hessischen Verfassung (HV), konkret eine Verletzung von verfassungsrechtlichen Eigentumsrechten, darstellten. Der Gerichtshof sah das Eigentumsrecht (Art. 45 HV) durch die seit 2016 bestehenden Schonzeiten der Hessischen Jagdverordnung übermäßig eingeschränkt. Dies begründete der Gerichtshof damit, dass das Jagdrecht bzw. das Jagdausübungsrecht unmittelbar aus dem Eigentum an einem Grundstück herzuleiten sei. Davon sei das Recht erfasst, grundsätzlich alle wildlebenden Tiere zu bejagen, sofern Tieren bei der Jagdausübung nicht über das unvermeidbare Maß hinausgehende Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Eine Beschränkung der Jagd könne nur aufgrund einer zulässigen und hinreichenden Rechtfertigung erfolgen. Der Tierschutz als solcher stelle keinen solchen Rechtfertigungsgrund dar.
Bereits kurz nach der Veröffentlichung der Entscheidung kündigten wir eine juristische Stellungnahme zu den Entscheidungsgründen des Staatsgerichtshofs Hessen an. Aussichtsreiche Rechtsmittel gegen die konkrete Entscheidung sieht unsere Rechtsordnung leider nicht vor. Ziel der Stellungnahme ist es daher, Rechtsfehler des Staatsgerichtshofs aufzuzeigen, in Fachkreisen öffentlich zu machen und damit zu verhindern, dass in Zukunft ähnliche Entscheidungen getroffen werden. Da bereits seit mehreren Wochen Gespräche mit juristischen Verlagen über eine mögliche Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift im Gange sind, möchten wir nun auf unserer Website statt einer Volltextveröffentlichung eine Zusammenfassung der Stellungnahme anbieten. Die Veröffentlichung in einer juristischen Zeitschrift hat den Vorteil, dass solche auch von Gerichten in ähnlichen Fallkonstellationen herangezogen und der Argumentation zugrunde gelegt werden. Die erzielte Breitenwirkung in Fachkreisen wäre damit viel größer als bei einer bloßen Veröffentlichung auf unserer Website. Um die Veröffentlichung nicht zu gefährden, sehen wir deshalb erstmal von einer Volltextveröffentlichung ab. Sobald eine Zeitschriftenveröffentlichung feststeht, werden wir natürlich darüber informieren.
Schwerpunktmäßig beschäftigt sich die Stellungnahme mit der Bedeutung der Einführung des Staatsziels Tierschutz in das GG und den damit einhergehenden Anforderungen im Umgang mit Tieren. Am Beispiel des gegenständlichen Urteils wird die nach wie vor unzureichende Berücksichtigung des Staatsziels aufgezeigt und dargestellt, welche zwingenden Schlussfolgerungen der Staatsgerichtshof hieraus hätte ziehen müssen.
Der Tierschutz wurde vor ca. 20 Jahren durch Einfügung in Art. 20a GG als Staatsziel erhoben. Mit der Aufhebung der Schonzeiten aufgrund von Einschränkungen des Eigentumsrechts wird das Staatsziel nicht bzw. nicht adäquat in die Urteilsfindung einbezogen. Das Gericht verkennt zum einen, dass die Tötung von Tieren im Tierschutzgesetz generell verboten ist und sogar einen Straftatbestand darstellt. Nur bei Vorliegen strenger Voraussetzungen soll die Tötung von Tieren möglich sein. Zum anderen zeigt die Stellungnahme auf, dass auch die Auffassung des Staatsgerichtshofes über eine angebliche Verkürzung des Eigentumsrechts durch die Schonzeitenregelung falsch ist. Eine gesetzliche Regelung von Schonzeiten führt vielmehr zu einer Erweiterung der möglichen Jagdzeiten und damit auch des Jagdrechtes. Denn das Bundesjagdgesetz schreibt ohne festgelegte Jagdzeiten ein ganzjähriges Verbot der Jagd vor.
Der Staatsgerichtshof erklärt in seinem Urteil, dass das Jagd- und Jagdausübungsrecht dem Eigentumsrecht unterfällt und wildlebende Tiere in einem Gebiet durch den Eigentümer getötet werden dürfen. Dabei könne der Tierschutz die Frage der Jagd als solche nicht berühren, heißt es in den Entscheidungsgründen. Die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz sei nur dazu bestimmt gewesen, den bereits normierten Tierschutz verfassungsrechtlich festzuschreiben. Eine Erweiterung oder Stärkung des Tierschutzes durch die Verankerung im Grundgesetz erkennt das Gericht nicht an. Der Tierschutz als solcher sei insofern nicht geeignet, Einschränkungen des Jagdrechts zu rechtfertigen, solange die Tiere weidgerecht getötet werden.
Die Entscheidung des Gerichtshofs widerspricht dem verfassungsrechtlich garantierten Tierschutz auf mehreren Ebenen. Dies beinhaltet die mangelhafte Gewichtung des Tierschutzes als Staatsziel, den verfassungsrechtlich garantierten Lebensschutz eines Tieres und die generelle Voraussetzung des vernünftigen Grundes zur Zufügung von Schmerzen, Leiden oder Schäden an einem Tier.
Das Tierschutzrecht ist ein Bundesgesetz und gilt in jedem Bundesland gleichermaßen. Es setzt das Jagdrecht voraus, da es Ausnahmen zu diesem beinhaltet. Somit bestimmt das Tierschutzrecht den Rahmen einer zulässigen Jagd auf allen Ebenen. Die drei Staatsgewalten sind dazu verpflichtet die Staatszielbestimmung wirksam umzusetzen. Diese Umsetzung ist überall dort angezeigt, wo der Schutzumfang des Staatsziels tangiert wird. Somit ist im Bereich des Jagdrechts das Staatsziel zu berücksichtigen. Des Weiteren sind die staatlichen Stellen auf Grundlage des Optimierungsgebots, dazu verpflichtet den Tierschutz bestmöglich umzusetzen, sofern gegenläufige Positionen nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Die Aufwertung des Tierschutzes zum Staatsziel bedeutet überdies, dass auch die Einschränkung gleichrangiger Grundrechte durch den Tierschutz möglich ist (BVerfG, Beschluss v. 12. Okt. 2010, Rn. 121).
Der Artikel 20a GG garantiert den Schutz des Lebens jedes einzelnen Tieres und ist somit eine fundamentale Norm des Tierschutzgesetzes. Das Tierschutzgesetz schützt nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin, heißt es im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Prozess um das „Kükenschreddern“ und hält somit den Lebensschutz als Grundsatz des Tierschutzgesetzes ausdrücklich fest.
Erst die Einführung von Jagdzeiten hat die Jagd als solches möglich gemacht. Außerhalb der Jagdzeiten gilt ein striktes Verbot zur Tötung von Wild. Sofern für eine bestimmte Art noch keine Jagdzeiten erörtert wurden, gilt ein ganzjähriges Jagdverbot. Durch die Einführung einer ¬beschränkten Jagdzeit ergibt sich somit mit Umkehrschluss stets auch eine Schonzeit der Tiere. Dies bedeutet wiederum, dass die Schonzeitenregelung nie eine Verkürzung von Jagdrechten sein kann, sondern systematisch eine Erweiterung darstellt.
Zur Tötung eines Tieres bedarf es nach dem TierSchG eines vernünftigen Grundes. Als vorrangiges Bundesrecht ist diese Vorgabe auch hinsichtlich des hessischen Jagdrechts zu beachten. Über das bloße Jagdrecht hinaus bedarf es daher eines hinreichenden Grundes für die Tötung etwa die Notwendigkeit der Bestandsregulierung. Im Rahmen einer Abwägung sind insofern die gegenläufigen Belange zu berücksichtigen und zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Dies verkennt der Staatsgerichtshof vorliegend, indem er konstatiert, das Jagdrecht allein begründe einen vernünftigen Grund zur Tötung aller dem Jagdrecht unterliegenden Tiere.
Das Urteil wirft viele Frage bezüglich der Auswirkungen des Staatsziels Tierschutz im Verhältnis zum Jagdrecht auf. Die Einführung des Tierschutzes in das Grundgesetz im Jahr 2002 wird nach 20 Jahren weiterhin nicht in allen Rechtsbereichen genügend einbezogen. Die geplante Steigerung des Schutzniveaus ist nur minimal verwirklicht worden. Unsere Stellungnahme zeigt gutachterlich die zugrundeliegenden Rechtsprobleme auf, veranschaulicht die von Art. 20 a GG ausgehenden Verpflichtungen zum Schutze der Tiere und soll auch in Fachkreisen zur nötigen Kritik am Urteil des Staatsgerichtshofs Hessen führen.
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