Keine Schonung für junge Füchse und Waschbären

15. April 2020

Waschbär

Mit Wirkung zum 31. März 2020 hob der hessische Verordnungsgeber die Schonzeiten für junge Füchse und junge Marderhunde auf. Für junge Waschbären war dies bereits zum 11. Februar 2020 geschehen. Die Jungtiere sind nunmehr ohne Einschränkung ganzjährig jagdbar.

Aufhebung der Schonzeiten

Dem Ganzen war eine Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs vorausgegangen (Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Urteil vom 12. Februar 2020 – P.St. 2610 –). Auf Antrag der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag entschied der Hessische Staatsgerichtshof über die Verfassungsmäßigkeit von Schonzeitenregelungen hinsichtlich der Jagdbarkeit bestimmter Tierarten bzw. -gruppen. In diesem Normenkontrollverfahren bestätigte der Gerichtshof zwar die Verfassungsmäßigkeit fast aller Schonzeitenregelungen und sah – anders als die FDP anführte – insbesondere auch keine übermäßige Grundrechtseinschränkung durch eine Gesamtbetrachtung aller vorgesehenen Schonzeiten.

Jedoch nahm das Gericht an, dass die Schonzeiten für junge Füchse, junge Waschbären, junge Baummarder und Blässhühner die Hessische Verfassung (HV) verletzten. Der Gerichtshof sah das Eigentumsrecht (Art. 45 HV) durch die seit 2016 bestehenden Schonzeiten der Hessischen Jagdverordnung übermäßig eingeschränkt. Dies begründete der Gerichtshof damit, dass das Jagdrecht bzw. das Jagdausübungsrecht unmittelbar aus dem Eigentum an einem Grundstück herzuleiten seien. Davon sei das Recht erfasst, grundsätzlich alle wildlebenden Tiere zu bejagen, sofern Tieren bei der Jagdausübung nicht über das unvermeidbare Maß hinausgehende Schmerzen oder Leiden zugefügt würden. Eine Beschränkung der Jagd könne nur aufgrund einer zulässigen und hinreichenden Rechtfertigung erfolgen. Diesem Maßstab würden die Schonzeitenregelungen für die oben genannten Tiergruppen nicht genügen.

Tierschutz- und verfassungsrechtliche Prüfung

Im Folgenden beleuchten wir diesen Maßstab und die Feststellungen des Gerichtshofs vor dem Hintergrund des Verfassungs- und Tierschutzrechts. Sowohl verfassungsrechtlich als auch tierschutzrechtlich problematisch ist dabei die Begründung, mit welcher der Gerichtshof einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie herleitet. Dies aus den im Folgenden erläuterten Gesichtspunkten.

Das Staatsziel Tierschutz kann eine Beschränkung der Jagd rechtfertigen

Zentral begründet der Gerichtshof die Verfassungswidrigkeit der Schonzeitenregelungen damit, dass der Tierschutz als solcher keine Beschränkung der weidgerechten jagdlichen Tötung rechtfertigen könne:

„Soweit die Landesregierung sich zur Rechtfertigung der einheitlichen, auch die Jungtiere umfassenden Schonzeitregelung des Waschbären ganz allgemein auf den Tierschutzgedanken beruft, kann auch hieraus keine Rechtfertigung abgeleitet werden. Der Tierschutzgedanke als solcher ist nicht geeignet, eine Verkürzung der Jagdzeiten zu rechtfertigen, sofern mit ihm allein die Absicht verbunden ist, Tiere vor ihrer Tötung auch dann zu bewahren, wenn diese zulässigerweise im Rahmen einer weidgerechten Jagdausübung erfolgt.“

Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Urteil vom 12. Februar 2020 – P.St. 2610 –, Rn. 223, juris, Herv. d. d. Verf.

Zwar handele es sich seit seiner Einfügung in Art. 20a GG im Jahr 2002 bei dem Tierschutz um ein Staatsziel. Die Aufnahme in die Verfassung sei jedoch nicht auf die Besserstellung des Tierschutzes gerichtet. Mit Art. 20a GG habe vielmehr lediglich einfachgesetzliche Bestand des Tierschutzes im Zeitpunkt der Verfassungsänderung grundgesetzlich sichergestellt werden sollen.

Vorgaben durch das Staatsziel Tierschutz

Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem grundgesetzlich bezweckten Wirkungsumfang von Staatszielen. Verfassungsrechtlich verpflichten Staatsziele die drei Staatsgewalten verbindlich dahingehend, die in ihnen festgelegten Ziele zu ihrer optimalen Umsetzung und Wirksamkeit zu bringen. Diese Vorgabe ist bei allen staatlichen Handlungen mit Bezug auf den Gehalt eines Staatsziels zu beachten. Damit sind Exekutive, Legislative und Judikative gleichermaßen verpflichtet, den Gehalt eines Staatsziels effektiv in der Rechtspraxis zu entfalten. Dies richtet sich insbesondere darauf, in Bereichen, in denen der durch das Staatsziel geschützte Inhalt in der Abwägung mit anderen gegenläufigen Interessen noch nicht optimal verwirklicht wurde, dies in Zukunft durch staatliches Handeln sicherzustellen. Aus dieser verpflichtenden verfassungsrechtlichen Vorgabe folgt, dass es – anders als der Gerichtshof argumentiert – gerade erforderlich ist, den Tierschutz in Bereichen noch unzureichender Umsetzung besserzustellen.

Fuchs

Hierfür obliegt es allen drei Gewalten, Regelungen zu erlassen, die den Tierschutz besser verwirklichen, als dies im Jahre 2002 der Fall war, sofern im betreffenden Rechtsgebiet der Tierschutz noch unzureichend in die Abwägung einbezogen wurde. Da ein Staatsziel alle drei Staatsgewalten gleichermaßen betrifft, hat auch ein Verordnungsgeber bei Erlass von Schonzeitenregelungen die aus Art. 20a GG folgenden Vorgaben zu beachten. Dies gilt auch im Fall nur mittelbarer Ausstrahlungswirkung der bundesrechtlichen Norm auf Landesebene.

Einbeziehung des Tierschutzes in Schonzeitenregelung

Wie der Gerichtshof zutreffend ausführte, steht dem Verordnungsgeber bei der Umsetzung von Tierschutzbelangen und ihrer Abwägung mit widerstreitenden jagdlichen Interessen ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu. Diesen nutzte der Verordnungsgeber im Fall der jungen Waschbären, jungen Füchse und jungen Steinmarder zu ihren Gunsten und verbot ihre Bejagung in bestimmten Zeiträumen. Damit entsprach er den Vorgaben des Tierschutzes.

Durch Art. 20a GG werden die Kerngehalte des einfachgesetzlichen Tierschutzes, insbesondere des Tierschutzgesetzes (TierSchG) garantiert. Hierunter fällt der Schutz des Lebens eines Tieres als solches. Eine entsprechende durch § 1 TierSchG vermittelte Rechtsposition stellte zuletzt das BVerwG in seiner Entscheidung zum sog. Kükenschreddern fest („Das Tierschutzgesetz schützt nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin.“ BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2019 – 3 C 28/16 –, Rn. 16, juris). Der Lebensschutz eines der Kernelemente des TierSchG dar.

Ein weiteres Kernprinzip des TierSchG liegt in dem Erfordernis eines vernünftigen Grundes zur Rechtfertigung einer Behandlung, die einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Beide Kerninhalte des TierSchG werden mithin von Art. 20a GG garantiert.

Unzureichende Berücksichtigung durch den Gerichtshof

Weder auf den Lebensschutz als solchen noch auf das Erfordernis eines vernünftigen Grundes für die Tötung eines Tieres ist der Gerichtshof eingegangen. Dabei folgt aus dem Kerngehalt des Tierschutzrechts, dass auch zur Rechtfertigung der Jagd ein über das bloße Jagdrecht hinausgehender vernünftiger Grund vorliegen muss. Dies betonte die Bundesregierung im Jahr 2017 (Bundestag Drucksache 18/13307, S. 28)

Kein vernünftiger Grund zur Tötung

Bezüglich der aufgeführten Jungtiere ist ein solcher Grund nicht gegeben. Auch der Gerichtshof sah bezogen auf junge Waschbären kein „praktisches Bedürfnis“ für die Bejagung; in Bezug auf junge Füchse fehlt jegliche Ausführung hierzu. Bezüglich der Tötung von Jungmardern führte der Gerichtshof nur aus, dass „der Prädatorendruck gegenwärtig noch gering“ sei.

Zahlreiche Experten nahmen zur Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines ganzjährigen, uneingeschränkten Abschusses der entsprechenden Jungtiere Stellung. Ihr Ergebnis: eine Bejagung ist nicht zur Eindämmung der Populationen geeignet und erforderlich bzw. bringt keinen signifikanten Mehrwert als sog. Managementmaßnahme. Auch die Aufnahme von Waschbären und Marderhunden in die von der Europäischen Kommission geführten Liste invasiver Arten ist nicht ausreichend als Rechtfertigung einer Tötung (siehe hierzu die Stellungnahme des Tierschutzbeauftragten BW). Bezüglich der angeführten Tierarten stimmen jedoch Sachverständige ganz überwiegend überein, dass ihre Bejagung als Managementmaßnahme generell unzureichend ist und – nur lokal begrenzt und bei Vorliegen besonderer Umstände – zu einem spürbaren Mehrwert führen kann (Management- und Maßnahmenblätter des Hessischen Umweltministeriums in Bezug auf Waschbären; in Bezug auf Marderhunde). Ohne einen vernünftigen Grund darf ein Tier auch im Rahmen der Jagd nicht getötet werden. Dies hat der Gerichtshof verkannt.

Wir müssen jetzt handeln – bitte unterstützen Sie uns

Angesichts der möglichen Ausstrahlungswirkung der im Urteil festgehaltenen Grundsätze bereitet das Rechtsteam der Erna-Graff-Stiftung nun eine ausführliche Urteilsbesprechung vor. Damit soll der fehlerhaften Anwendung und unzureichenden Berücksichtigung von verfassungsrechtlich garantierten Tierschutzbelangen im Bereich der Jagd in Zukunft vorgebeugt werden.

Problematisch ist, dass solche Entscheidungen auch auf die Rechtsprechung in anderen Bereichen wirken können, in denen Tiere genutzt, geschädigt oder getötet werden. Eine dezidierte Besprechung des Urteils, um Widersprüche zum Verfassungsrecht aufzuzeigen, ist daher essenziell wichtig.

Solche und andere Rechtsthemen zu bearbeiten, ist sehr aufwändig und erfordert juristische Expertise.  Bitte unterstützen Sie daher unsere rechtliche Arbeit zum Wohl aller vom Menschen genutzten, geschädigten oder getöteten Tiere.

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