Kükentöten muss ein Ende haben – Interview mit Eisenhart von Loeper

20. Mai 2019

Der ehemalige Vorsitzende der Erna-Graff-Stiftung Dr. Eisenhart von Loeper war maßgeblich an der Einführung des Staatsziels Tierschutz beteiligt.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte am 16. Mai bereits zur Tötung männlicher Küken (Kükenschreddern) verhandelt und die Urteilsverkündung für den 23. Mai anberaumt. Inzwischen ist der Tag der Urteilsverkündung auf den 13. Juni verschoben. Das Interview mit Dr. Eisenhart von Loeper soll Licht in die sehr komplexen Sachverhalte bringen. Er war bis 2018 Vorsitzender der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz und ist ein ausgesprochener Kenner des deutschen Tierschutzrechts. Eisenhart von Loeper war maßgeblich an der Einführung des Staatsziels Tierschutz beteiligt und hat dafür das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.

 

Was ist genau Gegenstand dieses Verfahrens?

Eisenhart von Loeper: Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Pressemitteilung vor der Verhandlung dazu Folgendes geschrieben:

»Die Kläger betreiben Brütereien zum Bebrüten von Hühnereiern. Die Bruteier stammen von Hennen aus Zuchtlinien, die auf hohe Legeleistung angelegt sind. Die Hühner sind vergleichsweise klein und für die Fleischproduktion wenig geeignet. Die männlichen Küken werden daher kurz nach dem Schlüpfen getötet. In Deutschland betraf das im Jahr 2012 etwa 45 Millionen männliche Küken. Die Beklagten untersagten diese langjährige Praxis, weil die Tötung der männlichen Küken ohne vernünftigen Grund erfolge und daher gegen § 1 Abs. 2 TierSchG verstoße. Die Vorinstanzen haben den gegen die Untersagungsverfügungen gerichteten Klagen stattgegeben. Bei der gebotenen Abwägung käme den Nutzungsinteressen, die für die Zulässigkeit der Tötung sprächen, derzeit ein höheres Gewicht zu, als gegenläufigen ethischen Gesichtspunkten. Im Revisionsverfahren wird zu klären sein, unter welchen Voraussetzungen ein vernünftiger Grund i.S.v. § 1 Satz 2 TierSchG gegeben ist und inwieweit wirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen sind.«

Warum hat dieses Verfahren nach dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen überhaupt noch stattgefunden? CDU und FDP sahen sich bisher doch immer eher auf der Seite der Nutztierhalter?

von Loeper: Darauf hat die Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) eine klare Antwort gegeben. Sie hält das Kükentöten für einen Verstoß »gegen ethische Grundsätze des Tierschutzes«. Nach dem Regierungswechsel in NRW verfolgt somit die Landesregierung die Linie der rot-grünen Vorgängerregierung weiter. Das Oberverwaltungsgericht in Münster entschied im Jahr 2016, dass die wirtschaftlichen Interessen der Brütereien ein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes seien. Die Kreisverwaltungen Paderborn und Gütersloh gingen in Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das am vergangenen Donnerstag dazu verhandelte (vgl. Westfalen-Blatt vom 17. Mai 2019).

Warum ist es am 16. Mai 2019 noch zu keinem Urteil gekommen?

von Loeper: Darüber kann man nur spekulieren. Nach dem Eindruck der vor Ort anwesenden Prozessbeobachter war sich der aus fünf Richtern bestehende Senat nicht einig. Bei der nunmehr für den 23. Mai 2019 angekündigten Verkündung werden sie nach außen aber einig sein müssen. Es darf aber auch nach der Mimik einiger Richter während der Verhandlung unterstellt werden, dass es in dem Senat zu einer Kampfabstimmung kommen wird.

Wird man erfahren, wie die einzelnen Richter abgestimmt haben?

von Loeper: Nein, das wird man nicht erfahren. Anders als beim Bundesverfassungsgericht ist auch das Abstimmungsverhalten der Richter vom Beratungsgeheimnis gedeckt. Auch ein zu veröffentlichendes Minderheitsvotum gibt es anders als beim Bundesverfassungsgericht nicht.

Was waren die wesentlichen juristischen Fragen bei diesem Verfahren?

von Loeper: Es gab mehrere Fragen. Das Gericht selbst hat aber gesagt, dass aus einer Sicht geklärt werden solle, ob die Tötung männlicher Eintagsküken durch Brütereien aus vernünftigem Grund erfolge. Dieser vernünftige Grund ist nach § 17 Nr. 1 TierSchG Voraussetzung dafür, ein Wirbeltier töten zu dürfen. Die Eigentümer der Brütereien meinen, dass es für sie nicht zumutbar sei, männliche Küken, für die sie bei der Mast keine Verwendung hätten, auf eigene Kosten »durchzufüttern«. Sie würden nur die weiblichen Küken brauchen, die später für das Eierlegen wichtig seien. Und deshalb sei das sofortige Töten der männlichen Küken ein vernünftiger Grund.

Was ist denn aber ein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes?

von Loeper: Das ist die spannendste Frage dieses Verfahrens. Denn bisher hat nach den Ausführungen eines der Anwälte der beiden beklagten Kreise, die das Kükentöten untersagt haben, kein deutsches Bundesgericht entschieden, was unter einem vernünftigen Grund zu verstehen ist. Das war auch in der mündlichen Verhandlung zu spüren. Während der Vertreter der beiden Inhaber der Brütereien darauf pochte, dass die von ihm als bedroht angesehene wirtschaftliche Existenz seiner Mandanten als vernünftiger Grund für die Tötung ausreiche, sah das die andere Seite nicht so. Sie meint, dass ökonomische Gründe allein nie vernünftig sein können. Das würde vor allem Art. 20a des Grundgesetzes, also dem Staatsziel Tierschutz, und der Grundkonzeption des Tierschutzgesetzes widersprechen. Denn das Tierschutzgesetz würde einen Lebensschutz für Tiere vorsehen, den es in kaum einem anderen Land gäbe.

Was ist Ihre Einschätzung bezüglich des Ausgangs des Verfahrens?

von Loeper: Das ist schwer zu sagen angesichts der Uneinigkeit im Gericht. Im Augenblick deutet jedenfalls Einiges darauf hin, dass es nicht mehr in erster Linie ein Streit der politischen Parteien ist, den man früher noch vermuten konnte. Denn die beiden CDU-geführten Kreise wurden nicht etwa von einer »grünen Kanzlei« vertreten, sondern von einer Kanzlei, in der zwei der namensgebenden Partner aktiv für die CDU in der Politik sind oder waren. Und auch die eher konservative »WELT« brachte das Thema unter der Überschrift »Muss er sterben?« auf die Titelseite. Gezeigt wird dabei ein männliches Eintagsküken. Es wird also wesentlich vom »Vorverständnis« der einzelnen Richter abhängen.

Das beantwortet aber die Frage noch nicht, oder?

von Loeper: Das stimmt. Aber mehr wissen wir noch nicht. Was sich aber andeutet: Das Gericht wird die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal des vernünftigen Grundes bestimmt genug im Sinne des Grundgesetzes ist, wohl nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Das müsste es aber, wenn es von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift »Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet …« ausgehen würde. Etwa weil man meint, dass kein Bürger verstehen könne, was ein vernünftiger Grund sei. Wenn das Gericht eine Vorlage nach Karlsruhe beabsichtigen würde, wäre die Frage wohl intensiver diskutiert worden. Vor allem, nachdem einer der Anwälte der Kreise die These aufstellte, dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig wäre.

Was heißt das?

von Loeper: Der Rechtsanwalt hat darauf hingewiesen, dass ein Gericht nur dann ein Gesetz in Karlsruhe vorlegen darf, wenn es selbst alle Alternativen geprüft hat, die zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit führen könnten.

Wie kann man das verstehen?

von Loeper: Nun, es gibt bei den Juristen verschiedene Auslegungsmethoden bei Klärung der Frage, wie ein Gesetz zu verstehen ist. Das Bundesverfassungsgericht verlangt nun, dass ein deutsches Gericht erst dann bei ihm vorstellig werden darf, wenn es geprüft hat, ob alle Auslegungsmethoden zur Verfassungswidrigkeit führen. Hat es das nicht geprüft, ist die Vorlage unzulässig.

Was heißt das für diesen Fall?

von Loeper: Einer der Anwälte der Kreise hat ja darauf hingewiesen, dass die sog. systematische Auslegung eine Vorlage nach Karlsruhe verhindere. Danach könne man als Jurist und Bürger genau verstehen, was der Gesetzgeber jedenfalls als unvernünftig ansieht.

Und was wäre hier die systematische Auslegung?

von Loeper: Eine solche Auslegung liegt vor, wenn eine Norm so ausgelegt wird, dass sie nicht im Widerspruch zu einer anderen Gesetzesnorm steht.

Der Anwalt der Kreise hat gesagt, dass es hier bei der Auslegung des vernünftigen Grundes darum gehen würde, ob die Tötung eines Tieres deshalb vernünftig sein könne, weil seine weitere Haltung zu teuer sei. Er hat dann argumentiert, dass es im Tierversuchsrecht für diese Frage eine ausdrückliche Regelung gebe. Nämlich in § 7a Abs. 2 Nr. 4 Tierschutzgesetz. Dort heißt es nämlich, dass Schmerzen, Leiden oder Schäden den Tieren nicht aus Gründen der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis zugefügt werden dürfen. Er hat dann wörtlich gesagt, dass das Tierschutzgesetz ein »Gesamtkunstwerk« sei. Und wenn dort im Tierversuchsrecht eine Kostenersparnis kein Grund für Schmerzen, Schäden oder Leiden sei, müsse das auch für die Auslegung des vernünftigen Grundes außerhalb des Tierversuchsrechts gelten. Kostenersparnisse könnten deshalb keinen vernünftigen Grund darstellen, zumal das Gericht bisher selbst den Tod als den größten denkbaren Schaden angesehen habe.

Und wird das Gericht dem folgen?

von Loeper: Schwer zu sagen. Jedenfalls wird das Gericht sich wohl mit dem Argument auseinandersetzen müssen.

Noch einmal zurück zu der Frage, wie es ausgeht. Wenn ich es also richtig verstehe, kommt in Betracht, dass das Gericht entweder sagt, die Tötung der Eintagsküken sei vernünftig oder aber sagt, sie sei nicht vernünftig. Sind auch andere vermittelnde Richtersprüche denkbar?

von Loeper: Im Senat scheint zumindest auch diskutiert worden zu sein, ob man einen Ermessensfehler der beiden Kreise, die das Kükentöten untersagt haben, sieht. Und zwar unter einem Aspekt: Nachdem die Tötung der Eintagsküken über Jahre von den Behörden bundesweit geduldet wurde und bis zuletzt mit der Rückendeckung der jeweiligen Bundeslandwirtschaftsminister – so jetzt auch durch Frau Klöckner –, könnte man vielleicht fragen, ob der Brütereiinhaber klüger sein muss als die Politiker und Behörden. Und dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass das wohl nicht so sei. Dann müsste man vielleicht einem solchen Brütereiinhaber eine längere Übergangsfrist einräumen, damit er seinen Betrieb umstellen kann. Und möglicherweise war die von den Kreisen gesetzte Frist dafür nicht lang genug. Hier könnte das Gericht evtl. einen Ausweg aus dem Dilemma sehen. Es könnte sagen, dass es einerseits keinen vernünftigen Grund für die Tötung der Eintagsküken gebe, dass aber eine Frist für die Betriebsumstellung länger sein müsse, als die beiden Kreise sie eingeräumt hätten.

Das Allerschlimmste wäre, wenn das Gericht sich nur auf einen Ermessensfehler zurückziehen und eine Entscheidung über den vernünftigen Grund nicht treffen würde. Dafür hätte es keiner Revisionsverhandlung bedurft. Und die Ungewissheit in Deutschland würde weiter anhalten. Dann hätte das Gericht allen Beteiligten Steine statt Brot gegeben. Vermutlich wird das aber nicht passieren.

Ist es auch aus anderen Gründen wichtig, dass das Gericht über den »vernünftigen Grund« entscheidet?

von Loeper: Ja, der vernünftige Grund bietet schon seit der Entstehung des Gesetzes etliche Interpretationsmöglichkeiten und ist daher hoch umstritten. Auch konnte unter den bisher mit dem vernünftigen Grund konfrontierten Gerichten keine einheitliche Definition des Begriffes gefunden werden. Der die beiden Kreise vertretende Anwalt zeigte hierzu ein aktuelles, äußerst problematisches Beispiel auf: Nach einem Urteil des Landgerichts Heilbronn seien Schmerzen, Schäden und Leiden innerhalb der Massentierhaltung stets als vernünftiger Grund anzusehen, da dies deren notwendige Folge sei, was allgemein bekannt und somit sozialadäquat sei. Tieren Schmerzen, Schäden und Leiden zuzufügen, wäre in der Massentierhaltung somit immer legal. Es ist deshalb von großer Bedeutung, dass ein Bundesgericht den Begriff des vernünftigen Grundes grundlegend klärt oder zumindest in seiner bisherigen Uferlosigkeit beschränkt.

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